Vivarium Seite 8
Achtet des einzigen, das Ihr habt: Diese Stunde, die jetzt ist.
Als ob Ihr Macht hättet über den morgigen Tag!
Wir ruinieren unser Leben, weil wir das Leben immer wieder aufschieben.
Epikur von Samos
***
Fürstliche Poststation.
Johann hatte sich nun wieder sein Testament vorgenommen, das unter dem Tresen versteckt lag..
Eines Tages kam eine Depesche mit feierlichem Siegel Landessiegel an:
An die Bewohner und des "Freihofes", an die Untergebenen des Fürstenhauses x x x !
Allen fuhr der Schreck in die Glieder, was wird denn nun passieren?
Wieder tagte der Familienrat- Johann öffnete das Siegel im Beisein aller.
Hiermit verhänge ich die Order, daß dieses Gehöft, das so seltsam gewachsen ist,
künftig "Fürstliche Poststation" genannt werden soll.
Dieser Aufforderung ist unverzüglich Folge zu leisten,
Widersprüche werden nicht akzeptiert.
Der Schmied -ansässig hierda- erhält hiermit den Auftrag, in Abzug der fälligen Abgaben an den Hof-
ein schmiedeeisernes großes Schild an der Straße anzubringen, das darauf hinweist.
Das dazu gehörige Wappen wird die Tage angeliefert, das auf diesem Schild -diebstahlsicher- befestigt zu werden hat.
Das bisherige Schild am Haus "Freihof" ist zu entfernen, der Hinweis zum Laden und zur Gaststätte sind gestattet.
Gezeichnet: Der Hofkämmerer des Fürstentums... xxx
Bleich vor Schrecken und ob dieser Tonfolge hockten alle erst einmal wie geschlagen am Tisch-
bis Marga lachte: "Fürstliche Poststation!"
Meine Güte, das ist ja bald so, als wäre man Papst geworden ..
Du sollst nicht lästern - hob Irme an- und lachte mit.
Nun hat man praktisch ausgesorgt und die Aufträge kamen praktisch ganz automatisch an,
nun hieß es nur noch die Zähne zusammen beißen und auf gutes Benehmen achten !
Die Post kam von da an regelmäßig- die alte Mainzer Landstraße,
so hieß diese - führte ja direkt an ihrem Haus vorbei bis nach Köln !
In anderen Gegenden taten Metzger diesen Dienst,
sie waren regelmäßig mit ihren Pferden unterwegs und mußten die Post mitnehmen.
Bald war das Schild am Hof angebracht und darauf das fürstliche Wappen-
was nun im fahlen Mondlicht fast so gut glänzte, wie im Sonnenlicht.
Der Sägewerksbesitzer und Schultheiß war richtig stolz darauf,
was er sich auf seine Brust heftete- er war mit an der Sache beteiligt gewesen,
er hat immer geholfen und .. daran verdient.
Nun warteten ab und an tatsächlich Reisende bis die Kutsche kam oder gerade zum Pferdewechsel oder zur Reparatur war.
Die Wartezeit hat man sich damals wie heute mit dem Geldausgeben vertrieben.
Die Wirtschaft lief gut, nebenan hat man Weine ausgesucht und irgendwelche Dinge mitgenommen,
die als nützlich und günstig erschienen.
Jeremia hat eine Tuchrolle mit Schmuck darin beim Johann gelassen, die man geschwind präsentieren konnte-
einfach aufrollen und so lag das Geschmeide auf feinem schwarzen Tuch- Silber und Gold kam so besonders edel anzusehen.
Schrägen Vögeln zeigt er den Schmuck sicher nicht.
Und wenn es ungemütlich wurde, genügte ein Pfiff und die beiden Hunde waren zur Stelle.
Die konnten durchaus sehr ungemütlich werden, auch das sprach sich herum.
Zudem waren genug kräftige Männer mit Knüppeln da, die im Hintergrund tätig waren.
Es trieb sich immer seltsames Volk herum, was schon an der Intention des Fürstenhauses lag,
was die Unabhängigkeit der Niederlande gegen Spanien
unterstützte.
Politik war nie die Angelegenheit der kleinen Leute und so sollte es auch bleiben,
man hatte andere Sachen zu tun.
Den Überblick über das, was man heute Politik nennt, hatte damals kaum jemand, nicht einmal die Pfarrer oder Dorfschulzen.
Im Dorf regte sich etwas, der Widerstand, der vom Pfarrer mit seinem Tratschtanten-Geschwader
gegen die "Freihof-Leute" angezettelt und immer wieder neu geschürt hat,
ist in dieser Zeit zusammengebrochen.
Die Unsicherheit innerhalb der Religion tat sicher einiges dazu bei.
Eines Tages kam ein Abgesandter des Erzbischofs von Trier
herauf nach Paderborn durch das Siegener Land,
auch er hielt in der neuen "Fürstlichen Poststation".
Die Kutsche hat der Dorfpfarrer gleich gesehen, denn die Fahne war hoch gezogen - und so kam er angerannt,
um den hohen Herren persönlich zu begrüßen.
Ein "Monsignore" mit zwei seltsam seifigen jüngeren Herren, ganz in schwarz gekleidet,
waren in der Kutsche - nur einer der Jüngeren ging in den Laden, um sich zu erkundigen.
Der Pfarrer lag auf den Knien vor der Kutschentür und winselte wie ein junger Hund.
Da ging die Tür auf und eine fette Hand mit fettem Siegelring daran kam zum Vorschein-
der auch fleißig abgeküsst wurde.
Die Leute vom Freihof sahen diese Gesten und schüttelten (zumindest innerlich) die Köpfe..
darüber wird man noch lange lachen in der Gaststube!
Einer der Rabenschwarzen gab ein Brevier aus der Kutsche herab zum
- noch immer auf den Knien liegenden - Pfarrer, das dieses Blätter wie himmlisches Manna
empfang und geküsst und bejubelt hat.
Als diese seltsame Fuhre wieder abgereist war- bogen sich alle vor Lachen.
Das hat der Pfarrer freilich noch sehen können - zumindest hat er es deutlich genug vernommen -
er drehte sich darum nicht herum um dieses gar mit eigenen Augen sehen zu müssen.
Man nimmt an, daß er den Rest den Tages mit der Reinigung seines Gewandes zugebracht hat.
Mit diesem Brevier war er noch heiliger geworden,
es wurde auch gleich auf dem Altar auf der Buchstütze aufgestellt.
Glaubensleute kamen ab und an diese Straße entlang- ständig war irgendwer zu "missionieren",
Reformatoren waren die schlimmsten der trockenen Brüder.
Mag auch ihr Anlaß gegen die alte Kirche "protestieren" zu müssen,
durchaus verständlich - damals werden das die wenigsten Leute verstanden haben.
Bibel ist Bibel, dachte man und was sollte in der "anderen" Bibel anders geschrieben sein?
Humorlos und fromm gehört wohl zusammen, zumindest ist das der Reim darauf bei so einigen Menschen.
Irgendwann ist er danach irgendwohin abberufen worden
und die Kirche wurde durch eine calvinistischen Priester
versorgt oder bedient oder beschlagnahmt- wie man es sehen mag.
Der neue Priester war jung und umschwärmt von den Damen,
er sah gut aus und war allem zugetan, was
gerade modern war.
"Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Pfurz"
(Martin Luther)
Die Kirche war in der ersten Zeit brechend voll, jeder wollte den neuen Priester sehen und hören.
Ein paar flapsige Bemerkungen über die Frömmigkeit oder besser Einfalt der Leute
ließ -langsam aber sicher- Protest gegen den Protestanten entstehen.
Nun klang auch die Geschichte aus der heiligen Schrift anders, ungewohnt, fremd.
Die ganz Liturgie war neu und die lateinische Sprache verbannt.
Nun war die Kommunion altmodisch geworden und die Konfirmation angesagt-
es hätten eigentlich alle Kommunionskinder zum Konfirmatenunterricht gesollt-
was keiner tun wollte- da half auch der Protest des Protestanten beim Landesherren nichts-
man munkelt, er ist nicht einmal vorgelassen worden und ist beim Kämmerer gelandet,
der ihn ganz kühl an seine Pflichten erinnert haben soll..
So erklärte der Pfaff einfach die Kommunionskinder als "konfirmiert" und las weiter seinen Katechismus vor.
(Andernfalls wäre kaum einer zum Abendmahl "zugelassen" worden)
Die anfängliche Begeisterung oder Neugier ebbte ab und so waren wieder nur die alten Tratschtanten in der Kirche,
außer zu hohen Ämtern, wo der Religionsdruck die Menschen zwang, an den Messen teilzunehmen.
Der junge Priester ging zur Gaststätte zur Marga und trank dort fortan jeden Morgen vor der Predigt einen.. Schnaps,
nahm etwas dicke Suppe und ein Brot zu sich, dann noch einen Schnaps auf den Weg- und ging dann zur Kirche..
Diese Gewohnheit hat er stets beibehalten- denn in dieser Gaststube waren zu dieser Stunde noch keine Gäste,
die ihn hätten sehen können - und mit der Soutane und dem Gebetsbuch in der Hand
sah diese kleine Wanderung nach "kontemplativer Meditation" aus.
Ein heiliger Mann, ganz ohne Zweifel, das konnte jeder sehen, bestimmt wollte er die Freihöfler missionieren..
Der Marga war es recht, die Lilie war offenbar einer jeder Gründe, warum der junge Priester dort so gerne war.
Das wußte bis dahin noch keiner, nur die Marga, die hat wohl gleich gemerkt, wo was im Busch war.
Marga sah sich schon mal nach einer "Ersatzkraft" als neuen weiblichen Lehrling um- so ganz vorsichig..
Lilie hatte noch eine etwas jüngere Schwester, die Kathi-
Eines Tages, als Lilie mit einem seltsam roten Kopf servierte, war die Sache offenbar-
in der Küche fragte Marga ihren Lehrling, doch mal bei ihrer Schwester nachzufragen,
ob sie nicht evtl. als "zusätzlicher Lehrling" anfangen wollte in der Gaststube zu arbeiten.
Die Lilie war verwundert oder schockiert,
sie wagte aber nicht den eindeutigen Verdacht durch irgendwelche Gesten zu entkräften.
So konnte sie ihre Schwester noch gut einarbeiten bis sie .. richtig vermutet .. ins Pfarrhaus einzog,
was ein Riesenskandal gab und was die Tratschtanten zur offenen Rebellion brachte.
Gut gemacht, Marga, sagten alle auf dem Hof, das muß man erst einmal zu sehen wissen..
auch wenn sie nun den Sonntagmorgengast verloren hatte.
Kathi machte sich gut, sie lernte ebenso schnell wie die Lilie, war allseits beliebt und geschätzt.
Sie konnte auch schon recht gut kochen, was ihrer Mutter zu verdanken war,
die früher "in Diensten" bei vornehmen Leuten war, bevor sie heiratete.
Inzwischen haben die Pfarrersleute, wie man fortan sagte, geheiratet- aber in einer anderen Gemeinde
und waren nun mit sichtbarem Resultat im Pfarrhaus zugange.
Die Tratschtanten haben die beiden so eng eingebunden, daß sie immer mehr Posten und Pöstchen zugeschoben bekamen-
neue "heilige" Tätigkeiten wurden vergeben.
Manche, so sagt man, häkelten sogar schon Säuglings-Sachen..
Der neue Pfarrer war so klug den Damen schöne Augen zu machen, sie mit Menschlichkeit zu bedenken,
dass viele sich dazu bereit erklärten, wieder zur Kirche zu gehen.
Ob aus Sensationslust oder aus Gefälligkeit - manche sogar aus dem Glauben heraus,
den sie nicht aufgeben wollten,
nur weil "ein paar Sachen anders" gehalten wurden.
Schließlich sei es doch der gleiche Gott, so ging im Dorf herum.
Die beiden Enkel Karl und das Urselchen gingen nun Sonntags zu Kirche, ab und an gingen auch mal Marga und der Erwin mit.
Die junge Familie hat einen Ruf in der Gemeinde erworben- und da gehört der Kirchgang dazu, zumindest auf dem Land.
Johann sah Irme an und meinte:
Ich glaube, wir werden bald wieder als Paten gebraucht, Gothe und Petter.
Er hatte schon einen Plan und fing bald an einen Kinderwagen zu bauen-
in einer Zeitung hat er vor einiger Zeit ein solches seltsames Gefährt entdeckt und sich damals sehr darüber gewundert.
Irme war begeistert - sie brauchte nur die Größe, um die Stoffe und Polster dafür zu machen.
Der Schmied kriegte sich kaum ein vor Lachen, als er das Bild dieser winzigen "Karre" mit einem Rad sah-
und meinte: Na, das werde ich schon noch packen- das mit dem Holz ist auch kein Problem,
es liegt ja genug
Limousinholz herum, das vom Kutschenbau kam.
Das Gefährt-chen wurde fertig und war hübsch ausgepolstert, mit eine überstülpbaren Decke versehen.
Schön bunt in Bauernmalerei gemacht, stand es hinter der Theke bis zur Taufe,
wo das Wäglein als Patengeschenk überreicht werden sollte.
Die Poststation lief wie am Schnürchen und die Einnahmen sprudelten.
Bald war dieser Kutschenhalt weit und breit bekannt - es soll sogar schon so mancher feine Pinkel aus Wetzlar dort gespeist haben - ein bekannter Dichter und bekennender Wanderer ?
Er hinterließ im Gästebuch folgenden Satz:
„Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.“
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