Vivarium Seite 49
Ach, was soll ich dir hier schreiben,
ein langes, schmalziges Gedicht?
Ich möchte in Erinnerung bleiben
und schreibe dir:
"Vergiß mich nicht!"
..von unbekannter Hand.
***
Wir schreiben das Jahr 1968 an der mittleren Lahn:
Eine nicht ganz fiktive Geschichte.
Aufgewachsen ist er in einem Arbeiterhaushalt mit drei Kindern in einem Dorf nahe der Kreisstadt:
Am Frühstücktisch der Familie wurde über den Tagesablauf,
kleine und größere persönliche Probleme bis zur Politik - über alles gesprochen,
"was sich nicht
gewehrt hat" - letzteres Thema eben soweit wie es verstanden wurde vom Nachwuchs oder dieser fragte, wenn etwas interessant genug erschien.
Das war Tradition und gehörte dazu - in demokratischer Abstimmung (Vater war SPD Mitglied) fanden Vorschläge von der Sonntagsfahrt bis zur Gartengestaltung statt -
über die Köpfe der Kinder wurde eigentlich nichts gemacht, sie wurden selbstverständlich mit einbezogen,
wenn es sie tangierte oder interessierte.
(Heute bin ich der Meinung, daß sich das unsere politische Kaste hinter die Ohren schreiben sollte)
Die Zeit war noch recht arm, "aus dem Nichts" wurden Häuser gebaut,
junge Familien gründeten sich, "Flüchtlinge" (Damals Deutsche)
haben sich
untereinander und auch anderen geholfen,
bezahlten konnte kaum einer was und wenn das oft genug in Naturalien oder mit Dienstleistungen.
Die Bauern waren im Dorf eine Gruppe für sich,
die nahmen diese Arbeiterhaushalte nicht für "voll" und sahen regelmäßig darauf herab.
Die Zeit war zwar neu, aber noch mit den alten "Honoratioren", wie Pfarrer, Lehrer und Bürgermeister
oder "besseren" Bauern am Stammtisch stets dabei,
die Leute zu maßregeln, wenn es ihnen paßte.
Junge Leute und Kinder hatten die Alten zu grüßen, die meistens Angehörige vorgenannter Schicht waren,-
den "Arbeitern" war das nicht so wichtig, die
waren sowieso eher miteinander bekannt, als mit den Bauern oder Honoratioren.
Der Übergang von der dritten Person zu dem "Sie" war noch nicht ganz getan,
der Gruß war wichtig, man legte großen Wert darauf und hat sich
sofort beschwert,
wenn die Kinder ohne diese Ehrenbezeugung vorüber gegangen sind.
Man sprach dann sogleich mit der Oma, die sich dann an ihre Tochter wandte um die Enkel "zu firmen"..
Arme Leute waren arm und blieben das auch zeitlebens, sie hatten "nichts zu melden" und hielten sich zurück.
Jeder ging - daran gab es keinen Zweifel - zur Konfirmation
und die Flüchtlingskinder zur Kommunion, Abweichler wurden geächtet.
(Genau wie Verbindungen zwischen den beiden Konfessionen)
Damals waren private Autos noch recht selten,
die Pendler fuhren in die benachbarte Kreisstadt
oder wenn es hoch kam in eine der beiden
weiter entfernten Städte mit der Eisenbahn.
Man mußte noch eine Bahnsteigkarte kaufen, wenn man Reisende begleiten wollte-
richtige Fahrkarten, die vom Schaffner gelocht wurden, waren
allen bestens bekannt.
Im Bahnhof war noch eine Toilette und Automaten mit Süßigkeiten und Zigaretten,
das unvermeidbare V ivil, in der Stadt auch Schuhputz- und Waagenautomaten.
Bahnhofsgaststätten waren in jeder Stadt, wie Zeitungsstände.
Fahrkartenschalter waren in jedem Bahnhof.
Die alten Dampflokomotiven und alte Wagen mit "Holzklasse" sind noch vereinzelt im Einsatz-
nicht immer, aber doch noch anzutreffen.
Langsam, aber sicher fuhren immer mehr Diesel-Lokomotiven oder Triebwagen
auf der zweigleisigen Strecke der Lahn entlang,
die mit ihren wunderbaren
Tunnels und Ausblicken recht einmalig ist.
Mit eben dieser Eisenbahn, wie man dazu sagte, fuhren die Leute in die Stadt- um 7 Uhr;
die Schüler der weiterführenden Schulen und die Arbeiter und Verkäufer,
die Angestellten und
Mitarbeiter der Behörden.
Jede Klasse war unter sich und hielt Abstand zu den anderen Sorten.
Die alte Klasseneinteilung war zwar ungeschrieben, aber war deutlich zu spüren,
weil sich die Grüppchen, die gemeinsam den Kilometer bis zum Bahnhof
gingen,
irgendwie an diese Regeln hielten - die wohl wichtiger waren, als persönliche Sympathien.
Man hütete sich, "unter dem Stand zu verkehren", auch wenn niemand darüber gesprochen hat.
(Seinesgleichen)
So hatten manche Gruppen direkten, andere eingeschränkt
und die der Arbeiter meistens keinen Zugang zu höheren Schulen,
weil die Förderung
von zuhause entweder intellektuell oder geldlich einfach nicht geleistet werden konnte.
Kindergeld war noch recht neu und nicht so viel, erst ab dem 3. Kind- zumindest für Arbeiter.
Das trennte schon mal "die Spreu vom Weizen", wie man so schön sagte.
Der Arbeiterstand spürte die Herabsetzung bei jedem Besuch in der Sparkasse oder Bank,
in den Schulen und sogar in der Gastwirtschaft.
Irgendwie wie in Südafrika, wo die Einheimischen von der weißen Minderheit gedrückt wurde.
Einheimische hatten weniger vom Staat zu erwarten als Flüchtlinge,
das hat nicht immer gut getan und hielt die Kluft fast bis zum heutigen Tag
offen.
Eine ähnliche Kluft haben die damaligen Flüchtlinge sehr viel später zu den "Russlanddeutschen" entwickelt,
die noch mehr Zuwendungen bekamen- Neid ist nicht
natürlich,
sie wird durch ungeschickte Behandlung provoziert.
Wie auch immer, die Zukunft von Arbeiterkindern sind meistens im handwerklichen Bereich angedacht gewesen,
wenn es hoch kommt im kaufmännischen als
Einzelhandelskaufmann, Verkäufer oder Frisör, Autoschlosser und Lagerarbeiter.
Wer etwas bessere Förderung hatte, hat die mittlere Reife machen können
und ist techn. Zeichner geworden oder konnte in
Behörden, Knappschaft oder Gewerkschaft
oder bei Sparkasse und Krankenversicherung untergebracht werden.
Aufgewachsen in dem Dorf besuchte er die Volksschule bis zur 8. Klasse,
dann eine 9. Klasse in der Kreisstadt, um dann gleich im Anschluß
in eine Ausbildung zu gehen.
Ein alteingesessener Glas-Porzellan-Spielwaren-Laden war das Ziel der Suche-
und es hat auch gleich geklappt, weil seine Mutter dort schon vorgefühlt
hatte:
"Er soll selber kommen und die Zeugnisse mitbringen, das wird schon.."
Und so war es auch- die Einstellung war nur eine Formalität, es gab viel zu tun und so ging es bald los:
2 Kittel kaufen, etwas Schreibkram und den Vertrag unterschreiben, wo genau drin stand:
1. Lehrjahr 55 DM, 2. Lehrjahr 85 DM, 3. Lehrjahr 105 DM.
(Davon mußte freilich die Monatskarte "Eisenbahn" gekauft werden, was gut 33 DM gekostet hat.)
Der Chef hat den Lehrling gefragt:
Willst du die vordere Hälfte des Ladens putzen, dann gibt es 5 Mark extra?
Klar, 5 Mark sind viel Geld, mache ich!
Alle haben sich gefreut: Arbeit schändet nicht und dieses Inhaber-Paar
hat ganz ganz klein mit ganz wenig Geld angefangen,
hat einen winzigen
Laden gemietet und von der "Eingliederungshilfe" von 40 DM
nach dem Krieg die ersten Sachen erworben, die dann verkauft werden konnten.
(Nach und nach wurde noch ein Zimmer, dann noch eines dazu gemietet-
es waren nicht mehr als zwei Zimmer, wo im Hinterstübchen die Inhaber wohnten,
wie das in ganz alter Zeit typische Umstände der Ladeninhaber waren.)
Es wird so im 2. Lehrjahr des jungen Mannes gewesen sein, da haben die Lehrherren das alte Stadthaus gekauft und umgebaut.
Die Füße sind dabei immer fest auf dem Boden geblieben:
Die Kunden waren meistens einfache Leute aus den umliegenden Dörfern,
aber auch die einfacheren Leute der Stadt.
Hier bekam man Bestecke, Töpfe, Geschirr, Gläser
und Küchenkram aller Art bis zu Geschenken für Hochzeiten, Konfirmation etc.
Als Ergänzung kamen Spielwaren dazu, ein recht interessantes Thema,
das vielschichtig war und irgendwann einmal das Thema "Camping" dazu bekam:
Die Zeit der ersten Urlauber der unteren Schichten begann gerne mit Camping -
alle möglichen dafür notwendigen Utensilien- sonderbarer Weise keine
Zelte.. vermutlich war nicht genug Platz dafür in dem Laden.
Dafür aber Luftmatratzen, aufblasbare Boote und Gartenstühle / Tische und Sonnenschirme..
Der Chef hat mit seinem schwarzen 58er Opel Kapitän mit Hydramatic die Sachen persönlich ausgeliefert-
ab und an hat er sich den Lehrling zur Hilfe genommen.
Der Lehrling "mußte" auch mit dem Chef die Schwäne füttern,
die zahlreich auf der Lahn sind - direkt hinter dem Fenster,
durch das die Kunden über den Tresen mit der Kasse schauen konnten, war der Fluss zu sehen.
Wenn der Chef seiner Frau irgendwie auf den Wecker ging, hieß es: Geht mal die Schwäne füttern.. als später die Fremden kamen, sah man immer weniger Schwäne.
Die größte Freude des Chefs waren die großen Kisten mit "Ramsch",
den er irgendwo günstig erstanden und geliefert bekam:
Meistens Geschirre und Gläser oder Vasen, Deko etc. - so manches Knickei
hat für billiges Geld den Besitzer gewechselt-
wer weiß denn schon, daß die riesige Keramik-Bodenvase undicht ist,
wenn nur Trockengesteck darin stehen soll?
Die Kunden hat es gefreut, den Chef auch - verschwiegen hat er die Mängel nicht,
dafür war das Zeug richtig billig-
lange vor der Zeit, als die Ramschläden aufkamen.
Sie hatten im Laden auch genug feines Geschirr von namhaften Herstellern,
die viele Jahre Nachkaufgarantie in allen Einzelteilen -
das war gewiß eine besondere Dienstleistung dieses Geschäftes, welche geschätzt wurde.
Damals achteten die Frauen noch darauf, daß das "gute Geschirr"
immer komplett für 12 Personen im Buffet stand.
Wenn ein neuer Artikel oder ein selten gefragter - nicht vorhanden war,
wurde dieser umgehend besorgt - Ehrensache.
(Die Konkurrenz schläft nicht und - wenn ein Kunde erst einmal woanders nachfragen muß, ist er meistens weg.)
So hat der Lehrling die meiste Zeit die Sachen im Laden abgestaubt oder abgespült-
einfach mal so staubig in den Regalen ausstellen,
wie das
heute der Fall ist, war damals ein absolutes "nogo" !
Alles mußte ganz akkurat in Reih und Glied stehen und zwar so,
daß man damit nicht versehentlich ein anderes Ding herunter warf,
wenn jemand ins Regal griff.
Hier lernt man, wie ein Kunde behandelt werden sollte:
Der Chef achtete sehr darauf, daß alle Angestellten- ja,
wir galten nicht als Arbeiter oder "Mitarbeiter",
wir waren Angestellte und die waren
schon etwas "Feineres",
man hatte einen Ruf zu verlieren !
Die Kunden wurden unaufdringlich begrüßt und gefragt,
ob sie sich umsehen wollen oder konkrete Wünsche haben-
dann gab es -entsprechend der Situation- fachlichen Rat und Tipps, die zum jeweiligen Geldbeutel paßten.
Wem ein höheres Geschenk im Moment etwas zu teuer war,
konnte dieses reservieren lassen oder gleich mitnehmen und anschreiben lassen,
kein Problem - und das lange vor der Scheckkarten oder gar Kreditkarten - Zeit.
Es war nicht zu entsinnen, daß man nach dem Ausweis gefragt hat..
Die Kontrolle der freiwilligen Putztätigkeit war immer da- wenn auch sehr subtil.
Dreckecken wurden nie geduldet - der Lehrling hatte den Schlüssel zum Geschäft -
und das schon im 1. Lehrjahr - heute undenkbar.
Bevor der Chef wach wurde,
(Chef und Chefin wohnten über dem Laden - dort war auch eine große Terrasse,
von der man auf die Lahn sehen konnte)
war das Scherengitter weggezogen, die schweren Sicherheitsschlösser geöffnet,
die Ladentür stand auf und es wurde geputzt.
So trocknete alles schnell ab, - Durchzug mit den Fenstern zur Lahn, eben die hinter der Kasse.
Ab und an kam auch mal ein Kunde herein, der selbstverständlich vor der eigentlichen Öffnungszeit seine Ware bekam,
auch wenn Lehrlinge nicht an die Kasse durften.
(Die Kasse hatte zu dieser Zeit auch noch kein Wechselgeld)
Abgezähltes Geld ging immer- nur noch geschwind den Kassenzettel im Quittungsblock ausfüllen,
Artikel, Anzahl und Preis, Namenskürzel darunter.
(Die Quittungen waren durchnumeriert.)
Einen Zettel bekam der Kunde, der 2. Zettel als Durchschlag wurde auf einen Spieß an der Kasse gepinnt.
Nun nur noch die Waren sorgfältig in Geschäftspapier einpacken -
zuvor wurde das Preisschild entfernt..
Das war eine kleine Kunst in sich- es durfte nicht "laienhaft" aussehen,
darin hat der Lehrling einige Stunden Schulung ertragen müssen.
Irgendwann kamen die anderen Mitarbeiter an- der Lehrling fuhr einen Zug früher,
eine Viertelstunde später kommen, nee, das hätte man
nie geduldet.
Die Fahrt mit dem frühen Zug hat er gerne gemacht,
daran hat man den Grad der "Willigkeit" abgelesen.
Nun war der Lehrling wieder der "Stift" und mußte gehorchen, wenn die Gesellen etwas sagten.
So mancher Schleimigel war unter diesen Gesellen, hinterhältig und aalglatt.
Die Chefin arbeitete fast nur im Büro, dessen Tür immer offen stand -
sie bekam vieles mit und achtete immer auf korrekte Abwicklung
aller Dinge,
die man irgendwie beeinflussen kann.
Ich habe nie gemerkt, daß eine Nervösität aufkam, wenn der Steuerprüfer kam.
Nun bekam der Lehrling eine flache Ledertasche in die Hand gedrückt:
Hier sind 2 Überweisungen drin und die Tageslosung:
Bringe das zur Sparkasse.
Kein Problem, mit dem blauen Nylon-Kittel an und dem Geschäftsemblem auf der Brusttasche ging es zur Bank.
Und es handelte sich immer um einen recht hohen Betrag, der dort einzuzahlen war -
auf den Gedanken, daß der Stift damit Mißbrauch treiben würde, ist keiner gekommen:
Man kannte die Eltern, auch wenn das "nur" Arbeiter waren, war genug Vertrauen da.
Oberste Losung war immer:
Bei uns wird nicht geklaut, wenn du Geld brauchst,
sagst du das gefälligst - Vorschuß kann immer gewährt werden.
"Denk immer dran: Bei uns geht es ordentlich zu, kein böses Wort in der Stadt,
wenn Besorgungen zu machen sind und erst recht nicht zu den
Leuten von der Konkurrenz -
Wir haben einen Ruf zu verlieren!"
Zuvorkommenheit und Höflichkeit war ganz einfach Pflichtfach, genau wie das Kopfrechnen..
Kopfrechnen!
Welcher Schulabgänger hat das nicht gehasst wie die Pest?
Der Chef: Das kriegen wir hin, wenn du hier fertig bist,
kannst du das - das wäre ja nochmal schöner..
..ein Kaufmann muß schneller im Kopf rechnen, als daß der Kunde merkt, daß er beschissen wurde!
..und lachte dabei so laut, daß die Chefin aus dem
Büro kam
und nach dem Grund dieses Heiterkeitsausbruchs fragte.
"Nix, man wird ja wohl mal lachen dürfen.."
Will zu Willig?
Wo ist denn der Chef schon wieder, fragt die Chefin - niemand will etwas sagen.
Nur der Lehrling: Er wird nebenan sein, in der Bäckerei..
Geh rüber und hole ihn- wenn er nicht gleich kommt, fliegt ihm das Hähnchen entgegen!
Oh, finster- ob sie das machen wird?
So geht der Lehrling ins Nachbarhaus und dort sitzen schon die üblichen "Verdächtigen" beim Bier.
Bier? In einer Bäckerei mit Kaffee-Stube?
Ja, das war damals so, wenn die Alten mit dem Zug aus den Dörfern kamen,
gingen sie gerne nach dem Einkauf dort eine Kleinigkeit essen;
die Frauen nahmen ein Stück Kuchen und tranken Kaffee,
die Männer ein Bier und ein Stück Fleischwurst mit Brötchen,
die Wurst wurde vom Metzger direkt gegenüber geholt -
dafür war sich der Bäcker
nicht zu schade.
Wurst, Brötchen und Senf dazu - fertig war das schnelle Stadt-Essen.
Dort hockten im Halbdunkel dieser seltsamen Bäckerei
auf altmodischem Gestühl, ein paar "Geschäfts - Konkurrenten" beim Bier-
es werden wohl einige
Gläser gewesen sein, so wie ihre Augen glänzten -
wie bei Kindern zu Weihnachten!
Nun platzt der Lehrling dort hinein und sagt:
Die Chefin meint, wenn er nicht gleich komme, dann fliegt ihm das Hähnchen entgegen..
Alles prustet und lacht, der Chef erschrickt und war eher böse auf den Lehrling,
der keinen Plan hatte, warum ihn nun der Zorn trifft..
(Von Partnerschaftsproblemen hatte ein so junger Mann noch keine Ahnung,
geschweige denn genaue Vorstellung, er hatte nicht mal eine Freundin,
nur ein paarmal herum geblinzelt- wo so viele feine Exemplare mit im Zug
und auf dem Fußweg in die Stadt zu sehen waren)
Nun versuchte der Chef sich dort zu verabschieden- was recht wackelig schien-
der Lehrling war fix wieder ins Geschäft geeilt, denn der Chef hat schon mal eine Ohrfeige verteilt.
Einmal hatte er eine abgekriegt- aber wie.. und das auch noch,
obwohl er unschuldig am Porzellanbruch war:
"dann haste eine gut, wenn du es nicht warst!"
Die Chefin stand noch immer wütend herum und ging erst die Treppe aufwärts
in die Küche, als sie sah, daß ihr Mann kam.
Die Gesellen meinten:
Oh, die pfeift wieder auf dem Kochlöffel und so verdünnisierten sie sich an irgendwelche Aufgaben,
die sie mit schielem Blick
besonders intensiv zu machen schienen..
Der Chef hatte wohl im Sturm getankt-
schwankend wie ein Matrose ist er durch den Laden und die Treppe hoch-
wie der dämliche kleine Modehund, den der Lehrling oft genug durch die Stadt ziehen mußte -
von seinen Besitzern wurde das Vieh immer getragen und wenn das andere versuchten,
schnappte er schon mal zu oder ließ es einfach laufen..
An diesem Tag ist der Chef nicht mehr im Laden aufgetaucht -
nach und nach zogen seine Trink - Kumpanen an der Schaufensterscheibe des Ladens vorbei-
feixend und schwankend, - daheim wird es denen nicht besser ergangen sein..
Einmal haben die Gesellen den Lehrling zu einem Bier eingeladen-
weit weg in der Bahnhofswirtschaft, damit es sonst niemand mitbekommt.
Ohje, das war niederschlagend und total ungewohnt - die Gesellen hatten Mühe,
den Lehrling so gerade zu halten, daß es nicht aufgefallen ist.
Die Hälfte der Arbeitszeit hat er im Pack-Raum verschlafen-
mit dem war nichts mehr anzufangen an diesem Nachmittag..
Wenn gefragt wurde, wo denn der Lehrling steckt, hielten alle seltsam zusammen:
Der hat einen Spezialauftrag im Keller.
Der älteste Geselle hat immer V ivil gegessen, nun weiß man auch warum..
Vermutlich, so der Lehrling zu sich, als er im Zug noch immer benommen war:
Die Gesellen werden wohl Übung haben - mir bekommt das nicht..
Die Jacke schief geknöpft, zerzauste Haare kam er zuhause an- seine Mutter roch den Braten sofort.
Dieser Vorfall wurde nie wieder erwähnt.
Die "Kneipe" der Chefinnen war wohl schräg gegenüber, dort war ein Friseursalon mit einem besonders weichen Inhaber-
dort wurde getratscht und geratscht- stundenlang.. direkt daneben die Boutique, die kein Kleiderladen sein wollte.
(Dort hat man sie auch schon bei einem Glas Sekt gesehen)
In der Kurve der Straße, rechts von der kleinen Metzgerei war die Drogerie des "Leo", wie alle ihn nannten-
das war ein echtes Original, dort gab es alles- egal was gefragt worden war, er hatte es vorrätig.
Ein total verwinkelter Laden mit tausend kleinen Schubladen und Regalen,
Treppchen und Hintertüren zu Kammern und mehreren Kellern
übereinander, in dem seltsame Gefäße standen.
Ein typischer Drogerie-Geruch hing darin.
Eine Mischung aus Petroleum und Parfüm -
dort fand der Lehrling auch das "irische Moos" oder "russische Leder",
das die
Frauen angeblich so liebten - genützt hat es nix,
obwohl das Zeug für einen Lehrlingslohn kaum erschwinglich war..
Dafür schmiegte sich die Frisöse eng an ihn, wenn er sich gegenüber der Arbeitsstatt die Haare schneiden lassen hat!
Dieses Event konnte er sich nur selten leisten und nicht immer war das Glück hold,
daß eine der jüngeren Frisösen
die Arbeit taten.
Mit frischer Frisur ging er aus dem Frisörladen in das Geschäft-
die Pause war weg, die Pausenbrote mußten nun heimlich zwischendurch
gefuttert werden:
Mensch, das stinkt hier wie ein ganzer Friseursalon- spotteten die Kollegen.
Diese Düfte betäuben irgendwie und auch die Kunden schauten immer ganz irritiert,
wenn im Porzellan-Laden ein solcher Geruch lag.
"Heu - was ist es so hell geworden!"
"Pierre Pomade" - und ähnliche Sprüche gab es unterwegs und zuhause..
Einmal im Frühjahr nahm ihn der Chef mit in den Garten,
der auf der anderen Seite der Lahn in einer Baulücke angemietet war-
dorthin hatte die Chefin ihren Mann geschickt:
Mach das Unkraut weg!
Der Lehrling hatte nicht viel Ahnung von solchen Sachen - was war nun Unkraut und was nicht?
Der Chef zog sein Hemd aus und schwitzte wie ein Bär- was er wieder mit Bier auffüllte-
unter der Gartenhütte
waren ein paar Flaschen Bier versteckt..
All zu wild hat er nicht gewerkelt- und den Stift nach kurzer Zeit wieder ins Geschäft geschickt..
auf dem Weg dorthin kam ihm schon einer der Kumpels des Chefs,
der Gärntereibesitzer unweit des Gartens - entgegen.
Auch dieser war bekannt für seine Trinkfestigkeit.
Einmal die Woche ging die ganze Bande zum Äppelwein-Wirt am Ende der Straße,
dort, wo im Hinterhof die Äpfel aus der Region angekarrt wurden.
Dieser Wirt hat im Hinterhof eine Kelterei geführt, sehr praktisch.
Wie die Stammtischbrüder von dort nach Hause kamen,
wollte niemand wissen- weit war es ja nicht.
Ein besonders weicher Geselle half der Chefin beim Spülen in der Küche..
"Immer dran denken:
Wir müssen die Geschäfte in der Stadt stützen und sollten immer dort kaufen!"
Diesen Spruch hat der Lehrling oft hören müssen,
wenn er mit dem Einkaufszettel durch die Stadt geschickt wurde-
ein paar Lebensmittel und Kleinkram zu holen, war immer beliebt.
(Dabei konnte der Lehrling sich gut umsehen und sich viel Zeit lassen- "Stau an den Kassen")
Was dem Chef sein Bier war der Chefin die Kopfschmerztablette, immer eine Sorte, T ogal oder so.
"Immer bei den Mitgliedern des Wirtschaftsvereins einkaufen"
Hat sie allen Mitarbeitern eingeprägt.
Ab und zu bekam man doch mit, daß der dicke schwarze Wagen in die Garage fuhr -
der Rücksitz war mit Decken zugehängt,
im riesigen Kofferraum war alles voll mit..
Lebensmitteln und günstig beim Großhandel erstandenen Dingen,
die auch bei den "Mitgliedern des
Wirtschaftsvereins" zu haben gewesen wären.
Die Chefin hat sich am Obstsekt einer ital. Marke festgehalten,
die der Lehrling in einem abgesperrten Kellereck verstauen mußte.
Beim Ausliefern von sperrigen Gegenständen hat der Chef dem Lehrling auch schon mal angeboten,
den Wagen fahren zu dürfen -
was aber mangels Führerschein nicht ging -
vermutlich hat er unterwegs an eine Einkehr gedacht.
Einmal wurde ein Schwan mit gebrochenem Flügel auf der Lahn gesichtet,
das war ein Ding!
Fix wurde das fein gewürfelte Brot geschnappt und mit einem Wäschekorb losgezogen - der Chef und der Lehrling.
Das war ein Drama, bis das Vieh, das sich heftig wehrte und schnappte
schließlich doch eingefangen und in den Korb verbracht werden konnte.
Mit dem Auto zum Tierarzt..
"Hansi" hat er den Schwan genannt und noch lange nach der Genese kam der Schwan
immer wieder und mit weniger Scheu zur Fütterung.
Irgenwann hat "Hansi" auf der Lahninsel, zwischen dem Fluss und dem Mühlgraben-
ein großes Nest gebaut und bald kamen die grauen
Plüsch-Knäuel,
die hinter dem Schwan her in den Wellen hüpften.
Die Berufsschule war einmal die Woche, wieder Schule- er war eigentlich froh,
diese Zeit hinter sich gehabt zu haben..
dort trafen sich in einer Klasse alle möglichen Gewerke - Elektriker,
Metzger, Bäcker, Anstreicher und auch Kaufleute.
Das Lehrberichtsheft mußte geführt werden,
wo seltsame kleine Aufsätze über Warenkunde und berufliche Erfahrungen eingetragen werden
sollten.
Die Hefte waren meistens lange leer, bis ein paar Wochen vor der Prüfung-
es fand sich immer ein Geselle, der aus seinem eigenen
Heft abschreiben ließ..
Die Warenkunde war aber sehr gründlich beim Chef,
alles wurde sehr gut erklärt und da legte auch die Chefin höchsten Wert drauf-
der Kunde hatte ein Anrecht auf sachgerechte Beratung.
Nachlässigkeiten wurden nicht geduldet.
Bald konnte er den Klang der irdenen Gefäße und edlen Porzellanen und Gläsern erkennen,
der einen "Sprung" oder Riss offenbarte,
den man mit dem Auge nicht erkennen kann.
Bald kannte er die Muster und Namen von Bestecken und Servicen,
wußte ob und wie man diese Dinge einzeln nachbeordern kann.
Nein, fachlich war die Ausbildung sehr gründlich, auch wenn nichts schriftlich gemacht wurde:
"Das ist Blödsinn, Theorie gehört in die Schule, nicht in den Laden" -
der Chef hielt nicht viel vom Lehrberichtsheft.
Dennoch mußte das Zwischenzeugnis immer gleich gezeigt werden,
damit man evtl. Defiziten gleich auf den Grund gehen konnte.
Der Laden achtete auf seinen Ruf:
Bei uns ist noch keiner bei der Prüfung durchgefallen.
Das Kopfrechnen ging im Laufe der Zeit immer schneller- wer hätte das gedacht?
Widersprüche gab es aber auch in der Ausbildung:
Kalkulieren haben die Lehrlinge nur theoretisch in der Schule gelernt,
im Laden war es immer irgendwo ein Geheimnis, das nur
der Chef und der älteste Geselle durfte.
Ab und an tuschelten die Inhaber:
"Im Blättchen steht dieser und jener- wir müssen aufpassen,
daß wir an unser Geld kommen"
Lustig war es bei Preisausschreiben oder besser "Gewinnspielen",
deren vom Kunden ausgefüllte Karten in einer Box gesammelt wurden.
Als die "Ziehung" der Preise war, wurden die Namen vorgelesen- und nur die,
von denen man als "gute Kunden" oder "gelegentlichen Kunden" gewahr
war, kamen in den Topf,
aus dem dann die Gewinne gezogen wurden.
Unbekannte Namen wurden ein wenig "vergessen" ;)
Immer wieder kamen Waren an, da wurde der Kapitän auf einen Parkplatz an der Lahn verdammt
und die Güter wurden in der Garage, die einen Zugang
zum Lagerkeller hatte, sortiert und kontrolliert.
(Das mußte bald getan sein, denn nur so konnte zeitgerecht reklamiert werden,
wenn mal etwas fehlte oder kaputt war)
Neben dem Heizungskeller mit der lauten Ölheizung war der Pausenraum- mit Gitter vor dem Fenster,
damit nichts hinein- und nichts heraus konnte.
Sogar eine kleine Kochplatte war da, damit man sich ein Süppchen machen konnte.
(Allemal besser, als diese seltsamen "Essens-Tender" von Zuhause mitzubringen,
die nie so ganz dicht waren- einfach mal am Mittag etwas kaufen,
das war bei dem Lehrlingslohn nicht drin.)
Lustig war es bei den "Saisonartikeln" zu Weihnachten oder Ostern,
wo Geschenkkörbchen mit allerlei Dingen - so auch Schoko- oder Zuckerwerk -
verpackt war.
Wie es vom Großhändler kam, so wurde es ausgestellt und .. wenn etwas übrig war,
oben im Speicher in der Ecke "Saisonartikel"
verstaut, bis zur Saison im ..nächsten Jahr ;)
oben war es immer so schön heiß im Sommer.
Die einzige Toilette war irgendwie zwischen den Treppen, in einem Kämmerchen ohne Fenster -
dafür war eine Kerze da, die bei dem großen Geschäft
eben angezündet wurde.
Zum Händewaschen mußte man in den Keller, eine Treppe tiefer.
Ständig wurde irgendwas geputzt- mal der Laden, mal die Treppe- oben in der Wohnung putzte der weiche Geselle..
Im Winter wurde Schnee geräumt- ratet mal, wer dafür abgestellt wurde:
Der Lehrling und der Chef.
In der Schubkarre wurde der damals noch kräftig vorhandene Schnee in die Lahn gebracht-
wohin hätte das Zeug auch sonst gesollt?
Der Bürgersteig war nicht so breit und bald war mir klar,
warum der Laden von außen bis über die Fenster gekachelt war-
wenn sich zwei LKWs in der recht schmalen Straße mit Steigung und Kurve begegneten,
schlugen die Räder den Matsch bis über das Schaufenster..
Wischen, putzen, wischen, schrubben-
der Lehrling hatte allemal ein Putzabitur gemacht, wenn die Lehrzeit zuende war.
Damals waren die schweren heulenden Bundeswehr Tanklastwagen von Magirus unterwegs-
für den Lehrling immer ein sehenswertes Event-
zusammen mit dem Chef rannte er zu Tür um das gebührend zu bewundern..
Es wird wohl so gewesen sein,
daß zum Fünffachen des Lehrlingsgehaltes das Geburtstagsgeschenk der Chefin für den Chef gekauft wurde-
das diese stolz präsentierte:
Die erste Digitalarmbanduhr!
Der Laden hatte mehrere Angstgegner, die heftig Konkurrenz machten-
manche nur in Teilbereichen, andere mit dem ganzen Sortiment- ein Exklusiv-Laden
für Glas und Porzellan war auch in der Stadt.
Trotzdem sind die Inhaber des Ladens, in dem der Lehrling war,
immer mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben.
Einmal gab es den "Ölkannenkrieg":
3 Läden machten sich den Preiskampf um die billigste Ölkanne zum Sport -
diese Plastikkannen, die wie Gießkannen ausschauten waren es,
mit denen die Kunden Heizöl in die Tanks der Zimmeröfen füllten..
Abwechselnd wurden Gesellen und der Lehrling -mit der Order in "zivil",
dh. ohne Dienstkittel- an den Konkurrenzläden vorbei zu gehen,
um die aktuellen Preis auszuspionieren..
..anschließend wurde der Preis in der Auslage herab gesetzt,
um das günstigste Angebot zu offierieren.
Irgendwann sind die Dinger draußen vor der Türe angebracht worden- mit riesengroßem Schild dabei:
Ölkanne 1,99 DM !
Das war freilich unter dem Einkaufspreis- aber wer von den Kunden ahnte das oder wollte das wissen?
Gut, dieses "Geschäft" war eher keines - bis es der Chefin mal zu bunt wurde und sie schimpfte:
Warum sollen wir 50 Ölkannen am Tag verkaufen und bei jeder eine Mark drauflegen,
höre endlich auf mit dem Blödsinn,
sonst zahlst du das von deinem Taschengeld-
-dieser "Appell" war an den Chef gerichtet, so laut, daß es bestimmt jeder der Beschäftigten mitbekommen haben muß.
Inoffiziell - unter den Verkäufern - hieß das damals "der Ölkannen-Krieg".
Im Zug hat man sich sowieso das eine oder andere schräge Ding erzählt-
jeder Laden hatte so seine kleinen Absonderlichkeiten.
Bei dem einen war es die Witwe, die sich einen "Geschäftsführer" zulegte-
der praktischer Weise auch gleich in ihrer Wohnung
wohnte, in einem anderen Laden war ein Frauenheld,
der gerne mal hier mal da schaute, nebenan war eine "stadtbekannte Dame"- aber
ohne Firmenschild,
dann war ein Schwiegersohn mit der Firmenübernahme betraut-
was einen schwunghaften Ausbau des Kleidungsladens brachte-
und bald die Pleite, nachdem einige Häuser zugekauft wurden.
Die Inhaber der Läden wechselten zuweilen nicht gerade selten.
Mit wechselnden Geschicken und Schicksalen kam neues Leben auf.
Die Zustände in dem Geschäft, wo unser Lehrling tätig war, blieben konstant und sehr zuverlässig.
Es gab eine Inhaberin eines Reiseladens, die sehr alt wurde- ein Urgestein der Stadt,
die immer mit ihrem Dackel unterwegs war-
wie so einige Originale,
mit denen man sich wunderbar unterhalten konnte.
Ein Delikatessenladen oder Feinkost, wie man früher sagte, hatte edle Dinge und feines Personal,
ein Fisch- und ein Gemüseladen, eine Konfiserie,
mehrere Cafes -
je nach Klientel einfach oder fein -
ich weiß nicht wieviele richtige Bäcker und Metzger in der kleinen Stadt angesiedelt waren.
Ein Metzger oder Bäcker (die noch selbst handwerklich produziert haben) hatte stärkere, der andere milder gewürzte Waren, es war für jeden Geschmack was dabei.
Wenige der alten Läden sind geblieben,
so macht der Milch- und Käseladen nur noch leckeres Speise-Eis,
das einer der Nachkommen sich zur Kreativ-
Aufgabe gemacht hat,
Bäcker sind nur noch Filialisten, genau wie die Metzgereien, von denen nur noch zwei im Ort sind.
(2022 keiner mehr)
Dafür baute man in Bürgerinitiative einen Bürgerladen - mit mäßigem "Erfolg",
weil dort nur wenige ältere Leute kaufen, die nicht immer
an den Stadtrand fahren wollen,
um ihre paar Sachen einzuholen.
Die Neubürger der Stadt kaufen bei ihresgleichen - wohl aus "religiösen" Gründen.
Inzwischen gibt es Russen- und Türkenviertel mit eigenen Läden.
Nur noch selten trifft man einen der alten Stadtbewohner, die immer jammern,
weil sie mit "den neuen Bewohnern" nicht klar kommen:
Wenn wir Abends den Fernseher einschalten, kommen die aus den Löchern und machen Krach,
dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht..
..die haben eine seltsame südländische Mentalität zu uns gebracht.
Die Stadt ist eine andere geworden, multikultureller, aber wohl nur für Touristen attraktiver.
Zwar fährt nun ein Stadtbus regelmäßig herum-
das kann aber von der sterbenden Altstadt kaum ablenken,
wo die hinteren Straßen recht marode geworden sind.
Doch zurück zu der Zeit des Lehrlings,
der gegenüber seiner Wirkungsstätte noch eine ganze Geschäftszeile sah,
die am Felsen unterhalb des
Schlosses klebte.
Heute ist das alles abgerissen- Denkmalschutz hin oder her.
Weg ist das große Lederwarengeschäft, weg der Friseur und auch die "Dame",
weg der Metzger und weg die Boutique und sogar der Leo - der
aus Altersgründen aufgab.
(Heute ist die ehem. Drogerie ein Cafe, es blieb als einziges Gebäude dieser Zeile stehen,
weil dazwischen der Weg zur Mühle und dem Schlosspark verläuft)
Aber auch auf der Seite des Porzellanladens hat sich viel verändert,
so mancher Inhaber hat gewechselt, die Weinstube ist einem Hotel gewichen,
der Hutladen blieb, der Schuhladen ist nun eine seltsame Italo - Billiardstube,
selbst der Porzellanladen selbst ist nurmehr eine Bodenbelag-Ausstellung,
nachdem ein türk. Besitzer wieder dichtgemacht hatte.
Der Hinterhof der Apfelweinkneipe wurde eine kunterbunte Pizza-Ecke,
die absolut nicht zur Stadt paßt.
Auch die Kneipe, pardon Bäckerei neben dem Laden unseres Lehrlings ist schon lange zu-
aus Altersgründen und weil zwei große Anker das Kellergewölbe zusammen halten mußten..
In der Blütezeit dieser Bäckerei hat die uralte Mutter des Inhabers den winzigen Verkaufsraum bewirtschaftet -
und ganz genau auf alles aufgepaßt.. sie erinnerte immer an "Flicki-Flick-Flickenschild", war aber todernst.
Die Zeit der Inventur war immer so eine Sache, die bei geöffnetem Geschäft, mitten im täglichen Betrieb stattfand.
Manchmal wurde auch eine Sonderschicht am Sonntag oder Samstagnachmittag eingelegt,
wo der Chef für Bier, heiße Fleischwurst und Brötchen sorgte.
Auf diese Weise wurde auch so mancher kleinere Umbau in "Eigenhilfe" bewältigt.
Es gab noch etwas Taschengeld auf die Hand und jeder hat gerne mitgemacht..
Der Lehrling war irgendwie in diesem Betrieb so eingebunden, als wäre es ein entfernteres Familienmitglied.
Unbedingte Loyalität zum Unternehmen war selbstverständlich,
hier gab es kein vertun:
"Wessen Brötchen ich eß, dessen Liedchen ich sing"
War ein Spruch dieser Zeit, den jeder kannte.
Freilich wurde es gerne gesehen, wenn Bedienstete im Verwandten- und Bekanntenkreis
den Laden emfohlen haben - was auch immer getan wurde.
Gehalt gab es immer pünklich und bar in der Lohntüte.
Sogar mit Weihnachtsgratifikation- auch ohne gewerkschaftlichen Zwang.
Ladendiebstähle waren eigentlich unbekannt- weil jeder,
ja wirklich jeder wie ein Schießhund aufpaßte.
Es gab auch Fälle, wo sich eine Kundin leicht und gerne
zu "Spontankäufen" überreden ließ:
Der Chef meinte- na wunderbar, du hast die Kundin xxx erwischt,
die bekommt schon nicht mehr angeschrieben, weil sie das Zahlen "vergißt"
und im Blättchen ssschhh.. ach, das darf ich dir ja nicht sagen.
Zu seinem Erstaunen kam die Kundin bald wieder und wollte etwas nachkaufen,
als ich sie dezent an den ausstehenden Betrag erinnerte.
Sie zahlte!
So war diese Kuh vom Eis und der Anpfiff erspart,
den der Chef unweigerlich verpaßt hätte.
Die Samstagsarbeit war noch überall, dh. der Dienst ging sechs Tage die Woche.
Samstags nur bis 13.00 Uhr, was aber durch die Eisenbahn-Fahrzeiten
nicht als freier halber Tag kam, höchstens als viertel-freier Tag.
Die besseren Schüler, die mittlere Reife oder Abitur hatten,
bemühten sich am Samstag nicht zum Dienst, die hatten frei.
Irgendwann wurde der Laden offiziell von einem Verwandten des Inhaber-Paares übernommen
die sich aus Altersgründen zurück zogen-
von nun an wehte ein anderer Wind, "feinere Sachen" kamen ins Sortiment,
"einfache Dinge" wurden zurück gedreht.
Die Lehrzeit war im letzten Jahr angekommen,
der Lehrling hat mit Sondererlaubnis ein halbes Jahr früher die Prüfung abgelegt-
das Wissen war so fundiert, daß kaum Angst aufkam.
Es war noch die Zeit, wo alte Kriegskameraden das große Sagen hatten,
deshalb sind die Noten niemals richtig gut ausgefallen:
Wer selbst ungerecht behandelt wurde, gönnt auch den Anderen keine Bestnoten.
Wie auch immer- die Zeit des "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" -
Geredes war nun endlich vorbei
und länger als nötig
wollte er, der ehemalige Lehrling,
der Stift, der nun den Gesellenbrief in der Tasche hatte,
nicht mehr dort bleiben, wo doch ein "anderer Wind"
eingezogen war.
Neue Besen kehren gut?
Man darf seine Zweifel haben, ob "H ummelfiguren" für 250 DM
in einer so kleinen Stadt wirklich besser
zu verkaufen waren, als Kochgeschirre und Kaffee-Pötte.
Der Lehrling sah sich um und fand auch bald eine neue Anstellung in der nächst größeren Stadt-
endlich gab es mehr Geld und irgendwann das erste gebrauchte, sehr billige
Auto !
Die Aktentasche, die er all die Jahre tapfer zur Arbeit trug,
behinhaltete auch den Gesellenbrief, den es am letzten Berufsschultag gab-
seine Mutter sagte morgens noch:
Bring mir aus der Stadt "Hähnchenklein" vom Lat scha mit, ich will Hühnersuppe machen.
Verstreut wie junge Männer nun mal sind, hat er zwar an den Einkauf gedacht,
dieses tiefgekühle Hühnerzeugs aber nicht extra transportiert,
sondern
in die Aktentasche gesteckt und sich
-nach dem 14 tägigen Urlaub gewundert, warum es so entsetzlich stank in seinem Zimmer..
Die neue Anstellung war -trotz des Flecks auf dem Gesellenbrief,
der noch immer stank- daran nicht gescheitert.
Soviel zur Lehrlingstätigkeit in dieser Zeit,
diese Begebenheiten sollen ein wenig aufheitern und nicht ganz vergessen gehen:
Der "Vollkaufmann" war im Rang eines Meisters,
er konnte sich selbständig machen und Lehrlinge ausbilden,
nicht zu verwechseln mit
dem Beruf des Verkäufers,
der eine einfachere und leichtere und kürzere Ausbildungszeit hatte.
Unser Lehrling war ein solcher Vollkaufmann,
den man heute durch "400- Euro- Kräfte" und studierte "Wirtschaftler" ersetzt hat.
Der eigentliche oder ursprüngliche Kaufmannsberuf ist tot.
Was mir damals an diesem Beruf am besten gefallen hat,
war die Entscheidungsfreiheit und die gewisse Selbständigkeit,
die ein erfolgreiches Arbeiten ohne ständige Bevormundung war.
Heute nennt man "kaufmännische Berufe" auch die,
welche eigentlich nichts mit dem ursprünglichen Kauf-Mann zu tun haben -
eine echte Fehlentwicklung, die "Jobs" gebracht und Berufe vernichtet hat.
Diese Entwicklung wird - da bin ich sicher -
auch andere Berufe ergreifen und deren Leute zu Taschengeldempfängern werden lassen -
das ist nur
eine Frage der Zeit.
Massenhaft eingeschleuste Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verbilligt Arbeit ganz allgemein.
Ein altes kaufmännisches Gesetz,
das unsere politischen Entscheider nicht zu wissen scheinen?
Oh doch, die sind aber auf der Seite der Unternehmer, die ihre Lobby in allen Entscheidungsbereichen installiert hat.
Sie haben ihre Stimme AB gegeben, damit ist das Recht auf weitere Mitbestimmung futsch.
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Ein paar fiktive ? Geschichten:
Der Krämer
Der alte Buchhalter
Der Ottilienhof
Freund Bernd.
Das Alter
Der Optimismus
Gedicht der alte Hirte
Indogermanen
Vier Freunde und der Mönchshof
Virtuelles Krautfeld
Murmelspiel
Rasensport
Der Runkler
Drei Schwestern
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