Vivarium Seite 2
Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens; deswegen schadet es dem Dichter nicht, abergläubisch zu sein.
Johann Wolfgang von Goethe
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Der Krämer, Teil 3
... noch immer tagt der Familienrat in der etwas zweckentfremdeten Gaststube
des Gasthauses an der Straße zwischen Limburg und dem Siegerland,
Johann, die Irme, Töchterchen Anne,
der Rudolf und der Erwin, der älteste Sohn der Witwe
waren in bewegtem, schicksalhaftem Gespräch gefangen.
Nun war also schon mal ein Anfang gemacht,
die Bretter für den einfachen Gemischtwarenladen,
den der Krämer, pardon, der Johann in der Tenne bauen wollte, rückte immer näher:
Weil der Erwin den Boden zur Wohnung machen wollte, konnte man gleich alles in einem Aufwasch erledigen-
Helfer gab es im Dorf genug, schließlich kannte jeder jeden.
Für ein paar Münzen war so mancher bereit,
vielleicht hätte mancher es auch in Gegenleistung gemacht,
das wird man sehen müssen, wenn es so weit ist.
Auf alle Fälle waren alle gemeinsam am planen und messen, als die Gasttür aufsprang
und der Hermann herein trat und ein Bier verlangte.
Das wurde ihm nur zu gerne gereicht.
Nun wurde aus dem Vorhaben ein Plan, der die Irme leicht überzeugte.
Die Wirtschaft war noch in Ordnung, die Räume darüber ebenfalls-
auch wenn sie ein wenig umgestaltet wurden:
Erwins Zimmer würde ja frei und darauf freute sich die Anne schon lange,
die bisher in einer Art Kammer mit winzigem Fensterchen schlief.
Der Rudolf tat das, was er immer tat- er kaute auf einem Strohhalm herum.
Die Bretter kamen mit einem großen langen Wagen, den zwei Ochsen zogen-
die Kinder aus dem Dorf und auch ein paar Dorfleute standen dabei
und begutachteten die Arbeiten, wie das halt auf dem Dorf so ist.
Kräftige Hände halfen geschwind die schon vorgefertigte Treppe nach oben in die Tenne zu verbauen,
dann konnten die Innenverschalungen darauf nach oben gebracht werden.
Die restlichen Bretter und Balken blieben unten in der Tenne, so war alles trocken-
und wenn Zeit war, könnten die Ausbau - Bauarbeiten beginnen!
Das Ochsengespann fuhr wieder weg, die Gucker zerstreuten sich,
ab und an blieb noch eine kleine Gruppe stehen und tratschte-
wie das halt
auf dem Dorf so ist.
"Hast du schon gehört, der Erwin und die Marga.."
Nein sowas und die sind doch noch so jung, haben die nicht warten können oder..
die Tratschtante mußte ihren Verdacht nicht aussprechen, die andere verstand es sofort.
Nein, da hätte man doch schon mal was gesehen und überhaupt- weiß Margas Mutter davon?
Na warte, die treffe ich ja morgen beim Bäcker.
So ist das halt auf dem Dorf und so war das schon immer.
Die Jungen kümmert das nicht, die Familie im Gasthaus ebenso wenig,
jetzt war erst einmal genug zu tun, als sich um das Geschwätz zu kümmern.
Die Irme hat sich schon immer aus dem Tratsch heraus gehalten,
das mußte sie schon als gute Geschäftsfrau tun-
wie schnell hat man sich Feinde gemacht und das bleibt, manchmal ewig,
wie das so auf dem Dorf ist..
Bald begann das große Hämmern, immer nachdem die beiden Burschen von der Arbeit nach Hause kamen-
zwischendrin waren Johann und Irme mit den Planungen beschäftigt.
Ein reisender Handwerksbursche legte geschwinder als die beiden Besitzer sich versahen,
den Boden in der Tenne und setzte die Fenster ein.
Unten nur eine größere feste Scheibe und ein paar kleine im zukünftigen Laden
und welche zum Öffnen oben, wo der Erwin seine Wohnung baut.
Der Wandergeselle speiste, kassierte und dankte- und schon war er wieder weg,
als die beiden Söhne nach Hause kamen.
Alle waren voller Besitzerstolz, auch wenn der Bau ganz ganz bescheiden war.
Nun mußte schnell Geld verdient werden, damit sich die beiden Unternehmungen tragen konnten.
Die Ladeneinrichtung war flott gezimmert, eine Lampe aufgehängt, eine Tür gezimmert,
große Ansprüche wollte der Johann auf keinen Fall machen, das widerstrebte ihm zutiefst.
Die wenigen Dinge aus der Kiepe wurden ins Regal verbracht, die Kiepe selbst über der Theke aufgehängt.
Sogar der irdene Topf war ausgestellt- als Denkmal sozusagen.
So vergißt man seine Anfänge nicht!
Der Rudolf konnte gut malen - so kam das neue große Schild an das Westerwald-Haus:
"Gemischtwarenhandel und Gastwirtschaft"
Das Schild blieb unter einem Laken versteckt, bis die beiden, der Johann und die Irme
alles für den Laden in der Stadt besorgt und eingeräumt hatten.
Große Steintöpfe mit Kraut und Bohnen und Salzgurken.
Kleinere Töpfe mit eingelegtem Fisch und Käse.
Gläser mit Erbsen, Linsen, Bohnen, Gries und ähnliche Dinge, die man im Haushalt so braucht.
Säcke mit Zucker und Mehl und Salz durften nicht fehlen.
Etwas Süßigkeiten, Tabak, ein paar Meerschaumpfeifen, etwas Schnaps, Öle und Essig-
So sah das alles schon ganz gut aus.
Der Rudolf hatte "einen Draht" zu der Tochter des Schmiedes,
so kamen Gartengeräte,
Schaufeln und Harken und Hacken dazu.
Der Besenbinder war auch gleich zur Stelle und lieferte seine Waren gerne dort ab.
(Wie war das gleich - die Tochter des Schmiedes?!)
Details verwischen in dieser Zeit des hektischen Aufbaus,
der doch irgendwie zufrieden und schnell vonstatten ging.
Der Tag der Eröffnung war eigentlich gar keiner-
es ging die Ladentür auf und der erste Neugierige kam, bald kam noch einer und noch einer..
Die Neugründer nennen jene "Seeleute", die eigentlich nur neugierig waren.
Das ist Werbung, die nichts kostet - so ist das eben auf dem Dorf.
Bald hielt die erste Kutsche und zwei, drei Reisende verlangten nach Essen- schnell wenns geht, es pressiert..
Große Auswahl gab es damals nicht- aber es war immer genug Mittagstisch für einige Gäste vorrätig.
Irme wußte mit den Dingen hauszuhalten und geschwind war etwas Gutes auf dem Teller, ein Glas eingeschenkt.
Die beiden Inhaber hatten bald alle Hände voll zu tun,
weil der Durchreiseverkehr schon damals nicht unbeträchtlich war-
aus dem Dorf kamen die wenigsten Kunden, und wenn, dann zum Johann,
weil im Dorf schon eine alteingesessene Schänke war.
So war der Schankbetrieb ein Stiefkind und blieb es auch-
man lobte jedoch das herzhafte und reichhaltige Essen der Lokalität.
Irme's Kunden waren und blieben Durchreisende, die stets die Angewohnheit haben,
eine gute Futterstelle als Geheimtipp weiter zu erzählen..
Der Gemischtwarenladen wurde mehr und mehr von den Dorfbewohnern besucht,
Durchreisende nahmen dagegen nur ab und an etwas Tabak oder Schnaps mit.
Anne fing an, den alten Hühnerstall aufzuräumen und bekam durch ihre Brüder Hilfe dabei-
ein Gehege wurde "fuchssicher" gebaut,
Küken wuchsen auf, Hühner legten Eier, der Hahn krähte wieder auf dem Mist..
Die Eier konnten sehr gut gebraucht werden - in der Wirtschaft und im Laden und in der Familie..
So kam auch regelmäßig ein Suppenhuhn auf den Tisch - und wer heiße Hühnersuppe mit Nudeln kennt,
weiß wie gut die tut und von innen heraus wärmt.
Das bekamen auch die Dorfbewohner mit,
die entfernt genug waren um nicht den Betrieb
evtl. durch Neid oder Mißgunst stören zu können-
und zudem war ja die "Laufkundschaft" der wichtigste Pfeiler,
durch die Lage an der weiten, schnurgeraden und gut frequentierten Landstrasse begünstigt.
Die Lehrherren der beiden Burschen waren nicht dumm, sie wußten wohl ihren Vorteil zu sichern;
von da an verkaufte der Johann auch Brote und Weck und Wurst und Schinken in seinem Laden!
Hier konnten die Kutschen und Reiter gut halten, nicht wie im engen Dorf, wo man kaum aneinander vorbei konnte.
Die Geschäfte gingen langsam, aber sicher aufwärts,
die äußerst sparsame Einrichtung des Ladens
hielt auch arme Leute an, dort ihr Glück zu versuchen.
"Anschreiben" war damals und noch lange danach "usus", bis der Verdiener der Familie seinen Lohn bekam.
Und so wollte er es haben, der Johann, so spartanisch wie die Kiepe, damit nur kein Kunde absprang!
Feine Läden gab es in der Stadt genug, damit mußte und wollte er nicht konkurrieren.
Die Waren waren und blieben einfach, kein Tand, nur Dinge, die man täglich brauchte, hatte er parat.
Mit Ziel und Verstand, ohne zu wuchern, betrieb er seinen gewohnten Handel, -
nur eben als "Seßhafter", ein "angesehener Geschäftsmann" ist er nie geworden,
er blieb immer ein wenig der Außenseiter und mit ihm blieb die Irme.
Der Laden war nicht klein, er hatte eine Theke gegenüber der Eingangstür,
die über die ganze Front der Tenne ging- mit einer Klappe darin,
die man hochschlagen konnte um dahinter zu gelangen.
Auf der anderen Seite führte die Treppe nach oben, zum Erwin-
eine Tür war an ihrem oberen Ende, damit er dort seine Ruhe hatte,
sein eigenes Reich, wo niemand stören sollte.
Und was war der Erwin stolz auf seine neue Bleibe !
Vor jener Theke also war genug Platz, daß gut zehn Leute dort auf die Bedienung,
auf den Erfüllung ihres Einkaufswunsches warten konnten.
Hinter dem Tresen hingen die Eisenwaren und Körbe und Besen und andere Dinge an der einen Wand,
Regale mit Küchengeräten und etwas einfaches Steinzeug-Geschirr und Töpfe darunter.
Auf der Gegenseite waren die Lebensmittel in den Regalen, darunter die schweren Steintöpfe.
Auf der Theke stand die Waage und die Tüten zum Verpacken in einem Ständer,
ganz nahe am Gestell mit den 6 Bonbongläsern,
die ein
Schraubdeckel schützte vor allzu aufdringlichen Kinderhänden..
Eine einfache Kassenschublade, ein Schreibblock, eine Geldschale- und die Zeitung aus der Stadt,
die jeden Tag die Postkutsche brachte.
Bald wurden dort Briefe und Päckchen abgegeben, was aber damals noch eine echte Seltenheit war.
Das war damals ganz neu und zukunftsweisend- und ein beliebter Ort für allerlei Neuigkeiten,
wie Johann verdaddert bemerken mußte..
ein Plausch außerhalb des Dorfes, wo man nicht so gesehen wird- das war es, was die Frauen angezogen hat.
Bald stellte die Irme eine Kanne mit Kaffee auf die Theke und ein paar Tassen..
So verkaufte sich auch das Plunderstückchen des Dorfbäckers
wie "geschnitten Brot" - und schließlich war es ja egal,
wo man
seine Backwaren kaufte- im Dorf oder beim Johann.
Die Türglocke ging fortan recht häufig- so kam der Johann kaum aus dem Laden heraus-
gut fürs Geschäft, schlecht für die freie Zeit.
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