Vivarium Seite 19
Wie lange ich lebe, liegt nicht in meiner Macht; dass ich aber, solange ich lebe, wirklich lebe, das hängt von mir ab.
Seneca
***
Die Schmiede. (Der Krämer, 20. Teil)
Im dahinterliegenden Bauernhaus war alles ruhig, Karl und Dora und Sohn Helmut und Schwiegertochter Trude
waren sich gut, mit Erwins Freund Herrmann und der Moni aus dem Köhlerhaus im Sägewerk ebenso,
Tochter Thea und Sebastian im Köhlerhaus schlossen sich da nicht aus.
Der Erinnerungstag an Erwin und Marga und der an Johann und Irme wurden den drei Paaren
zu Ostern und Weihnachten, die Erzählungen über diese beiden Alten,
wozu auch die Geschichte der Köhlers gehörte,
zum Evangelium und zum Katechismus.
Die Kirche und die Herrschaft war denen nicht wichtig.
So wurde die Tradition des Freihofes gut bewahrt.
Auf dem Schloss hat man davon nur durch den Zehnten gewußt.
Der neue Schultheiß wurde Herrmann und der sprach nicht viel darüber herum.
Mit dem Dorf hatte man noch immer nicht das Geringste zu tun.
Das Verhältnis zu Thea und Herrmann im Sägewerk blieb immer gleich solide.
Eines Tages kamen ein paar Gespanne an im "Vorderhaus"
und es wurden Einrichtungs- und Haushaltsgegenstände
ausgepackt und eingeräumt.
Es war richtig lauter Betrieb zum übrigen Schmiede-Gehämmer, die Anlagen rundherum wurden instand gesetzt.
Ein Schild kündete an: Schmiede zum Freihof.
Was für eine Sache- und das ohne um Zustimmung zu fragen!
Für eine solche Entscheidung hätte man doch die Freihöfler fragen müssen, so waren sich alle einig.
Paul sagte nichts dazu, außer:
"Das geht mich nichts an- ich bin nur der Schmied und das langt mir vollkommen!"
Was für eine seltsame Ausflucht, der muß doch was wissen!
Dieses seltsame Grinsen dabei- nein, das kam allen merkwürdig vor..
Eines Tages wurden die "Glocken geläutet", die Familie zusammen gerufen:
Vor dem Gänsetor standen 5 Leute und begehrten Einlaß!
Alle kamen zum Tor und staunten nicht schlecht.
Da stand der Schmied - Bruni genannt (er hieß eigentlich Bruno) und die .. Ursel mit 3 Kindern!
URSELLLLL ! Rief Karl- Schwester! Wie das, wie ist das gekommen und wo kommst du her und wer ist ..
Er kam nicht dazu, weiter seine Fragen zu stellen, die Begrüßung
war herzlich und dauerte seine Zeit,
bis
das wilde durcheinander gehende Geschnatter sich beruhigt hatte.
"Bruni" grinste nur, er sagte überhaupt immer nur wenig, auch später.
Dafür sprach die Ursel mehr und wollte gar nicht mehr aufhören.
"Ich bin als Lehrerin einmal an Eltern geraten, die ihren hoffnungslosen Zögling Musik beibringen lassen wollten..
Als wenn man Musik so einfach beibringen könnte- die Unterrichtsstunden wurden immer mehr und mehr,
ohne daß der Bruni etwas dazu lernte.
Dafür kündigten sich Zwillinge an, denen folgte noch einer- nun "mußten" wir heiraten,
ein weiteres Versteckspiel im hochheiligen Limburg wäre undenkbar gewesen.
Die Enge der Räumlichkeiten ließ uns hierher fliehen, weg vom Getratsch und Gezänk und vom Katholizismus, mit seinen engstirnigen Schafen.
Darf ich vorstellen- die Orgelpfeifen Benni, Berni und Karla.."
Die Familie der Freihöfer meinte:
Woher habt ihr das viele Geld für diesen Prachtbau und den Kauf des Grundstücks?
Nun, sagte "Bruni", meine Eltern haben wohl geerbt,
sie sind mit dem Haus Katzellnbogen verwandt und hatten
größere Liegenschaften am Rhein bekommen -
davon habe ich meinen Teil erhalten.
Mir, sagte "Bruni" - UNS, unterbrach ihn die Ursel, "ist das Land und die Ruhe inzwischen sehr viel wohler als die Stadt"
Neue Zeiten, neue Zustände, neues Leben!
Der Freihof begann erneut aufzublühen, die drei Kinder,
Benni, Berni und Karla flitzten von nun an immer hin und her-
mal ins Köhlerhaus, mal ins Bauernhaus, mal ins Vorderhaus..
Ursel und Bruni sorgten nun für ein wenig frische Luft auf dem Freihof,
sie wollten sich auf keinen Fall ausgrenzen und hielten eng,
ja geradezu untrennbar zu den anderen.
Vom Vorderhaus konnte man über den Bauernhof zum Köhler - Grundstück
und bald von dort direkt zum Sägewerk
gelangen, dazu waren nur zwei kleinere Waldstücke zu kaufen,
die oberhalb der Köhler-Schlucht waren.
Öffentliche Wege brauchte somit niemand nehmen, um von dem einen zum anderen Freundeshaus zu gelangen.
Der "Freihof" bekam sozusagen Zuwachs- dem Herrmann und dem Sebastian und Anhängen war das recht.
Auf diese Weise partizipierten alle von den beiden neuen Festen,
den Gedächnisfeiern oder Höhlenfesten- wie man will.
Die Schmiede und Kutschenreparatur lief gut, der Ort war einigen Kutschern noch geläufig.
Selbst bei Hofe entsann man sich darauf, dort die etwas komplexeren Dinge machen zu lassen.
Die Holzkohle kam von außerhalb, im Köhlerhaus waren diese Arbeiten inzwischen ausgestorben.
Langsam kam wieder Geld in die Kasse, das neue steinerne Haus hatte ordentlich was gekostet.
Die anderen horteten die restlichen Erb-Gold-Münzen lieber für bittere Notzeiten.
Von Notzeiten hatte man inzwischen genug gehabt und sich durch jene "stillen Reserven" immer ein wenig sicherer gefühlt,
als andere Leute, die buchstäblich "von der Hand in den Mund" leben mußten.
Es war immer nur das Gefühl, daß man noch etwas gespart hat, das ruhig und gelassen sein ließ.
(Angegriffen hat man diese Reserven kaum)
So ein Hof hat immer etwas zu futtern für seine Bewohner- lieber ein einfaches, als gar kein Essen!
So mancher aus dem Dorf hat hier ein wenig holen können, wenn die Not groß genug war.
Der Bauerngarten wurde gut vergrößert, die Hecken gaben den nötigen Windschutz,
sonst wäre hier im Westerwald an Gemüse weniger zu denken gewesen.
Der Dünger des Viehs half den Boden zu verbessern:
Man glaubt nicht, wieviel Mist ein großer Geflügelbetrieb macht!
Ursels Söhne Benni und Berni waren oft dabei, im Garten zu helfen.
Karla nahm statt dessen bei ihrer Mutter Musikunterricht.
(Dabei konnte man die beiden Buben so ganz und gar nicht gebraucht- ganz der Vater?)
Bald bekamen Thea und Sebastian aus dem Köhlerhaus ein Söhnchen, das sie Gerhard nannten.
Die Bauern der Gegend fuhren nun nicht mehr nach Rennerod oder gar nach Limburg,
um bäuerliches Gerät zu kaufen, sie kauften sich dieses lieber im Freihof,
bei dem steinernen Haus mit der Schmiede und der seltsam langen, flachen Scheune,
in einem Teil dieser war ein Laden eingerichtet, ganz derb, bäuerlich-
mit
halbhoher Abtrennung zur.. Schmiede und Fabrikation.
Zwei Gehilfen und zwei Lehrlinge wurden eingestellt, dauernd kamen Aufträge herein.
Wagen mit Eisen und Holzkohle rollten ein und aus, Lieferanten und Bauern ebenso.
Die Freihof-Schmiede lief gut, der Bruni kümmerte sich mehr um die Aufträge und um Erfindungen
in Sachen landwirtschaftliche Geräte,
der Paul, der 2. Adoptivsohn von Herrmann und Moni
vom Sägewerk war der Meister des Betriebes.
Die Moni hatte genug mit dem Haushalt der fünfköpfigen Familie zu tun.
Inzwischen entstanden weiter Werkzeuge für die Landwirtschaft, einfache Mühlen für Rüben,
Hacken, Pflüge, Achsen und ganze Wagen,
die Fülle war schon recht beachtlich.
Die Einführung von Mais und Kartoffeln haben neue Bearbeitungsmethoden nötig gemacht.
Ein schmales Versuchsfeld wurde dort angelegt, wo früher die zweite Einfahrt war.
Hier wurde den Bauern der Gebrauch der neuen Pflüge erklärt.
Diese Vorführung waren geradezu revolutionär!
Man hat die von Pferden gezogene Sähmaschine entwickelt,
die sich bis zum 18.Jhd verdoppelnde Bevölkerung wollte ernährt werden.
Dazu war Bruni da- er sorgte im hohen Westerwald für die Mechanisierung der Landwirtschaft.
Dazu gesellte sich ein kleiner Pferdehandel, der wie damals in der Zeit der Fürstlichen Poststation
getauscht, gekauft oder verkauft werden konnten.
Das Saatgut war ein weiteres Standbein der Schmiede - in der langen Halle war Platz dafür:
An- und Verkauf von Sämereien aller Art.
Auch dieser Geschäftszweig entwickelte sich prächtig.
Bruni war oft unterwegs auf Erkundung, damals nannte man das noch nicht "Fortbildung",
er kam mit neuen Ideen wieder, mit neuen Kontakten und zuweilen auch mit Aufträgen.
Er hatte zwar das Geld für einen feineren Zweispänner, hat aber immer nur ein einfachen Bauernkarren genommen-
mit einem älteren Pferd davor, das irgendwie im "Ruhestand" war..
Für Bruni war das wohl eine Ausrede, mehr draußen und unterwegs sein zu können.
Die jungen Bauern, Helmut und Trude schafften den Hof locker auch allein-
das war Karl und Dora bewußt und das war ja auch Sinn und Zweck der Lehre.
Eines Tages fing der Karl an, die Dora des Abends, als sie vor dem Haus hockten, zu fragen:
"Weißt du was mich einmal reizen würde?
So eine lange Wanderschaft, wie sie Johann und die Irme seinerzeit gewagt haben.."
Dora war sowieso schon ein wenig unzufrieden, weil sie nicht mehr das "Regiment" führen konnte-
an ihr sollte es wohl nicht scheitern und solange sie alle beide noch gut beieinander wären,
so meinte sie, stünde dem wohl nichts im Wege.
Eltern haben immer Angst vor der Reaktion der Kinder - wie würden die das wohl auffassen?
Der Familienrat wurde einberufen und alles besprochen.
Wie auch schon Johann und Irme wollten sie einfach abmarschieren-
aber ohne Genehmigung des Landesherren ging
das heute nicht mehr.
Der Bruni besorgte den Beiden ein Zertifikat für Reisende in Sachen Landhandel,
ähnlich dem Papier, das auch er bei sich haben mußte.
Nun ging es daran, die Ausstattung zu besorgen.
So einfach wie möglich sollte das Gepäck ausfallen, das war klar.
Wie schon bei ihren Vorgängern, sollte niemand auf dem Gedanken kommen,
ein Überfall könne sich lohnen.
Derbe Schäfermäntel und Hüte, gute Wanderschuhe, je einen Stock und wetterfesten Sack für über die Schulter,
Messer und was man so braucht, wurden in Rennerod gekauft.
Dort tauschte man noch ein paar gängige Münzen ein,
mit denen überall oder fast überall zu dieser Zeit bezahlt werden konnte.
Salbe gegen dies und das war auch nicht schlecht.
Die Kleinen lachten, als sie die Beiden derart maskiert vor sich sahen-
"Mama, komm schnell, hier sind ein paar Wanderschäfer im Garten!"
Die wertvollen Münzen der Beiden blieben bei Thea und Helmut, hier waren sie ganz bestimmt gut aufgehoben.
Ein paar Stücke hat man geschickt in dem Umhang eingenäht - sicher ist sicher.
Der Tag der Verabschiedung kam, der viel stiller war, als die Beiden befürchtet hatten..
.. es trat eine Art "Trauermarsch" bei allen Zurückgebliebenen ein.
Im Dorf ging es immer weiter mit Neid und Mißgunst, keiner gönnte keinem was. Der neue Landesherr war ein Mann der Gesetze und er erfand täglich neue, die dann durch den Kämmerer durchgesetzt werden mußten. Die Schultheiße bekamen von ihm die entsprechende Order und das gemeine Volk mußte gehorchen - wie immer war dieses Pack, wie der Kämmerer sagte - "abgabenpflichtig".
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