Vivarium Seite 18
Wer wirklich gütig ist, kann nie unglücklich sein;
wer wirklich weise ist, kann nie verwirrt werden;
wer wirklich tapfer ist, fürchtet sich nie.
Konfuzius
***
Kriegszeiten. (Der Krämer, 19. Teil)
Johann und die Irme schliefen noch, als die Schweden kamen und die Poststation anzündeten-
von allen Seiten kamen die Flammen.
Von Ferne war Feuerschein in der Morgendämmerung auf der nördlichen wie auf der südlichen Seite am Horizont.
Wie zwei gewaltige Fackeln brannten beide Gebäude der Fürstlichen Poststation-
der Schulte hat wohl versäumt, die Hoheitszeichen zu entfernen und lag nun erschossen im Hauseingang.
Traumtrunken wollte Johann die Irme wecken, aber die war schon erstickt an den heimlich durch die Ritzen ziehenden Rauchgase,
Johann schaffte es es noch, das Fenster zu öffnen, als ihn die Kugel traf.
Vermutlich war der Tod schnell gekommen und hoffentlich nicht zu schmerzhaft gewesen.
***
Die Goldgulden waren in der Höhle gut verwahrt, wie so manches Geheimnis seine Besitzer überlebte.
Die schöne Zeit konnte den Beiden niemand mehr nehmen, sie hatten sich genommen, was sie konnten.
(Einen Nachruf hat es nie gegegeben, man hat ihre Leichen nie gefunden, so gab es auch keine Beerdigung.)
In dieser Zeit wurde kaum noch einer richtig auf dem Friedhof beerdigt, die kräftigen Männer waren eingezogen,
die anderen waren tot oder verwundet oder haben sich versteckt, um nicht selbst erschossen zu werden.
Entweder wurde man von den Schweden oder von den Franzosen erschossen- diese Frage war nichtig,
die einfache Bevölkerung litt und wußte meistens nicht, welche Soldaten gerade für die Plünderungen und Vergewaltigungen sorgten.
Karl und Dora und die Kinder waren noch immer auf dem Hof, der so im Hintergrund lag,
daß die Truppen diesen vermutlich nicht einmal
gesehen haben.
Inzwischen war selbst das kleine Tor im Gänsezaun überwuchert und praktisch "unsichtbar" geworden.
Die hohen Brombeerhecken und die Steinmauern um das Grundstück herum taten ihre Wirkung, die Straße war vom Hof ein gutes Stück weg-
dazwischen die großen Ruinen der beiden Gebäude, die Raub der Flammen wurden -
oder sollte man eher Willkür der Halunken in Soldatenröcken sagen?
Die Köhlers blieben ebenfalls verschont, dieses vollkommen unbedeutende,
winzig kleine Talchen hatte nur eine
Eselspfad, keinen breiteren Weg und schon gar keine Strasse.
Die "Spezialität" der Wiesen im Westerwald waren moorige Stellen und dazwischen böse Basaltsteine-
die man kennen sollte, um unbeschadet voran zu kommen-
ganz schlecht für
schwere Geschütze und Wagen.
(Noch heute lauten viele Ortsnamen auf "Seifen", feuchter Grund)
Hier machte es keinen Sinn über die Äcker und Weiden zu fahren, wie die Soldaten das im Taunus taten-
zurück blieben enorme Schäden und Ernteverluste.
Aus Bosheit hat so mancher Offizier die reifen Kornfelder anstecken lassen, wie die Ortschroniken vielfach berichten.
Hier im hohen Westerwald waren eben nur Wiesen, nasse Wiesen, Steine und Wind..
Diese unruhigen Zeiten haben die Tauschwirtschaft wieder auferstehen lassen,
niemand wollte Geld annehmen, von Ländern und Gebieten, die schon längst zerstört waren.
Geld war nichts mehr wert, nur noch solches, das einen hohen Edelmetallwert hatte.
So wurden Eier gegen Getreide, Rüben gegen Hasen oder Hühner getauscht-
selbst Bettzeug gegen Butter oder Milch-
wie in allen Kriegszeiten und noch lange danach.
Alle fragten sich, wann endlich wieder normale Zustände einkehren,
wann die Kinder wieder zur Schule und
die Leute wieder ihrer Arbeit nachgehen
und alles neu aufbauen können, was studierte oder adlige Narrenhände haben zerstören lassen.
Eines Tages hat sich ein Soldat mit einer Fackel dem Hof genähert,
als ein Schuss krachte:
Der kleine Helmut hat den Soldaten erschossen, bevor er den Stall anzünden konnte.
Gemeinsam haben sie die Leiche in der Dämmerung an die Straße geschafft,
sein Gewehr so gelegt, daß es nach einem Unfall aussah.
So nah kam der Krieg unseren Leuten nicht mehr, die Fronten hatten sich in wichtigere Gebiete verzogen.
Doch die Kriegsunruhen wollen kein Ende nehmen.
Einer der längsten Kriege der Weltgeschichte überrollte viele Staaten und Völker.
Alles wegen Religion, alles wegen des Glaubens und der Macht.
Die beiden Köhlers starben am Alter,
die Thea wohnte mit dem Sebastian zusammen, der von Herrmann und Moni, der Köhler-Tocher, adoptiert worden war.
Sie zogen in das Köhler-Haus.
Der Helmut hat eine junge Frau aus dem Dorf gefunden, die Enkelin eines der Wirte, die Trude.
Helmut und Trude waren in der Nebenwohnung des Bauernhofes daheim geworden.
Von Ursel, der Musiklehrerin und Karls Schwester, hat man lange nichts mehr gehört..
Nach diesem weiteren Generationswechsel kam endlich wieder Friede ins Land,
zögerlich, aber wie eine Morgendämmerung.
Der Familienrat tagte- wie schon immer auf dem Freihof.
Dieser Tradition mußte man ganz einfach treu bleiben, schon aus Respekt vor den Ahnen, die nun bei den Engelchen waren.
Ludwig Heinrich, ein hoher Offizier der Preußen ist nun Herrscher in diesem Gebiet.
Die Östereicher haben den Krieg verloren.
Die Protestanten gewonnen.
Aus Amerika ist nun eine Nachricht angekommen, die im Familienrat vorgelesen wird:
"Wir sind nach stürmischer Überfahrt angekommen, im Unterdeck sind einige gestorben.
Die Kinder waren alle sehr krank, uns ging es nicht viel besser.
Das Meer ist so unvorstellbar viel größer, als wir dachten und Amerika so weit weg.
Virginia war gut zu uns, die Besiedlung ist ausdrücklich erwünscht und so bekamen wir einige Hilfen,
ein Stück Land draußen, dort wo niemand hin wollte.
Eigentlich hätten wir auch im Westerwald bleiben können..
Von den Eltern haben wir nichts gehört, niemand kannte sie.
Man war der Ansicht, daß sie auf dem untergegangenen Schiff gewesen sein könnten.
Wir haben zwar Heimweh - aber wir beißen uns durch."
Erschüttert und still tranken die Familienmitglieder ihren Kaffee,
den sie aus Malz gemacht hatten-
es sollte noch dauern, bis sich die Importe wieder aufrichteten.
Der Bauernhof lief gut, konnte aber nie viel verkaufen,
weil in diesen Zeiten niemand Geld hatte,
außer den Adligen und die ließen liefern,
sie gingen nicht auf die Märkte.
Karl und Dora haben sich nicht dazu herab gelassen,
diesen Leuten den Bauch füllen zu wollen- lieber waren sie ärmer dran.
Der Herrmann und die Moni von den Köhlers machten gute Geschäfte,
es mußte ja so viel neu aufgebaut werden, viele Häuser waren angezündet worden oder in Brand geraten.
Das Sägewerk weitete sich aus, im Nachbarhaus wurde eine Schmiede eingerichtet.
Helmut und die Trude sind auf dem elterlichen Bauernhof, dem Freihof geblieben.
Die Jahre gingen ins Land, ohne daß man noch einmal etwas aus Virginia gehört hätte.
Deren Adoptivsohn Paul sollte einmal das Sägewerk und die Schmiede übernehmen,
er lernte fleißig in diesem Gewerk.
Geheiratet hat er nie, Paul war sich immer selbst genug.
Im Köhlerhaus, so nannte man es weiterhin, ging alles seinen ruhigen Gang.
Getreide anbauen und mahlen, Fische züchten- bald kamen noch Korbwaren hinzu-
die Thea und der Sebastian waren bescheidene Leute.
Deshalb verstanden sie sich mit Karl und Dora so gut.
Herrmann und Moni waren da schon ganz anders,
heute würde man sie als typische Unternehmer bezeichnen.
Eines Tages ersteigerte ein Schmied aus Limburg den vorderen Teil des Freihofes,
den, wo noch immer die zerstörten Gebäude lagen-
eine Wüstenei, für wenig Geld, aber mit Wasseranschluss..
Er ließ alles abräumen und ein stattliches Steingebäude errichten.
Eine Schmiede, eine Scheune und eben dieses Wohnhaus, das bald
"das steinerne Haus" genannt werden sollte..
Die Schmiede war eingerichtet zur Reparatur von Kutschen,
vor allen Dingen aber für Eisenteile der Landwirtschaft.
Jeder wunderte sich über diese seltsame lange Scheune, die er erbauen lassen hat.
Paul hat dort seine Anstellung gefunden, die kleine enge Schmiede beim Sägewerk
und daß er immer um alles bitten mußte, waren ihm zuviel geworden.
Der Schmied kam nun öfter vorbei und gab seine Anweisungen,
während der Bauzeit war er nur ganz selten anwesend.
Der Familienrat hat beschlossen, einen Erinnerungstag an Irme und Johann einzurichten
und einen für Ewin und Marga,
sozusagen als Familien-Feste,
die wie eine Art kleine Kirmes gefeiert wurden, mit gegrilltem Fisch und Hühnern,
Salaten und gutem Wein.
In dieser Zeit war man zusammen vor der Köhler-Höhle, die nun wieder geöffnet war.
Eine Art früher "Party-Raum" !
Von außen oder vom Dorf oder von der Herrschaft hat das keiner je bemerkt,
auch von den Straße aus war kein Ton von
der gehobenen Stimmungslage zu vernehmen,
dafür war die Höhle zu weit weg und zu verborgen in der kleinen Schlucht bei den Fischteichen..
Ja selbst von "vor dem Gänsezaun" aus war nicht das Geringste zu hören.
Die drei Paare liebten die Abgeschiedenheit, das muß man sagen.
Thea und Sebastian, Karl und Dora, Helmut und Trude waren ziemlich oft beieinander.
Bald waren auch wieder zwei wehrhafte Hunde auf dem Gelände, deren Ahnen die Metzgerhunde aus dem Dorf waren.
| |