Der Krämer, 14. Teil
Wer nicht von Grund auf umdenken kann, wird nie etwas am Bestehenden ändern.
Anwar Al Sadat
***
Immer weiter.
Die Zeit verflog, sie lief einfach immer weiter-
manchmal schneller als es einem lieb sein mag.
Aus Kindern werden Leute, aus gestanden Leuten werden Greise.
Margas Eltern waren bald - kurz hintereinander - gestorben,
das harte Leben auf dem Allmendehof war zu arg in die Glieder gefahren
so waren die rheumatisch und oft am husten und öfter schwer krank.
Nur mit Hilfe der Kräuterkunst waren sie so lange da auf dieser Welt.
Die Beerdigung fand in aller Stille statt, wie man so treffend zu sagen pflegte.
Aus dem Dorf hat sich niemand dafür interessiert, der Prediger kam aus der Nachbargemeinde,
der Beerdigungs-Kaffee wurde daheim gehalten.
Es waren nur die Freihöfer, der fremde Prediger und der Schultheiß zugegen.
Die Hunde suchten noch längere Zeit nach den beiden Alten und kamen mit hängen Ohren aus dem Haus zurück.
Wer einen Hund eng an sich wohnen hatte kennt die Trauer dieser Tiere,
die nicht viel anders ist als bei uns Menschen-
manchmal sogar ausdauernder-
ehrlicher auf alle Fälle!
Johann und Irme hatten alle Hände voll zu tun, die Geflügelfarm zu führen-
bald hatten sie zwei Helfer an der Hand, die sich freuten endlich eine Arbeit zu haben.
Nun war Zeit für sich selbst, die heilige Ruhe und ab und an auch für die Enkel,
die immer seltener kamen- die Schule beanspruchte viel Zeit,
je weiter die Klassen, um so mehr.
Der Karl interessierte sich noch immer für die Geflügelzucht,
die Ursel nur noch für ihren Musikunterricht,
den sie immer mehr in den Vordergrund schob.
Das fürstliche Haus hatte eine Föderung solcher Künste und so kam die Ursel bald darauf nach Siegen
in
ein Gymnasium, ein kleines Internat.
Karl war froh, als er daheim als Lehrling bei den Großeltern antreten konnte.
Nicht, daß jemand denken mag, diese Lehre wäre eine bequeme gewesen - eher im Gegenteil:
Kopfrechnen, Buchführung, Geschäftskonten, Einkaufslisten, Bestell-Listen, Kundenkonten..
und freilich auch ab und zu beim Schlachten und Rupfen helfen,
die Zuchtbedingungen verstehen und anwenden lernen,
Tierkrankheiten erkennen und behandeln, Vorratswirtschaft betreiben - und die Vermarktung haben ihn gut eingebunden.
Es war recht gut zu tun, trotz dem nun fünf Personen daran arbeiteten, die Fasanerie zu erhalten.
Die Tiere ließen sich prächtig verkaufen, denn gerade an der Qualität hatten die Großeltern stets gearbeitet.
Einfache Hühner halten konnte jeder, aber eine Fleisch-Hühner-Zucht, die dazu noch gesund ist- war schon selten.
Nach und nach hat sich der fürstliche Hof immer mehr auf die Lieferungen verlassen.
Damit waren die höfischen Köche auf der sicheren Seite,
mit diesem Federvieh legte man bei den Gästen des hohen Hauses immer Ehre ein.
So mancher Fahrgast der Postkutschen mochte etwas mit nach Hause nehmen,
manche ein gesottenes Huhn, andere eine geräucherte Gänsebrust, andere einen eingelegten Fasan-
oder einen Kräuterschnaps - wie es beliebt.
Was alle mitnahmen, war ein gutes Erlebnis beim Essen und bei der Nächtigung in den Gastzimmern.
So mancher Reisende hat schon zuvor vor dieser Poststation gehört und seine Fahrt entsprechend gerichtet.
Eine seltsame Fuhre hielt - und blockierte dabei die Einfahrt -
das Zeichen des Bischofs war auf der Türe angebracht.
Die Vorhänge waren zugezogen, ein junger dürrer und blaßer Priester sprang heraus und flitzte zum Eingang der Lokalität.
Ich habe einen Geleitbrief und muß zum Pfarrer des Ortes - wo finde ich diesen, blökte er in die Gaststube.
Die Bedienung kam gerade mit vollen Tellern aus der Küche, Marga hatte wieder einmal gut gekocht..
was ist das Begehr, rief sie aus der Küchentür, die in die Gaststube führt.
Muß ich mit einer Frau sprechen, toste der Schnösel:
Mein hoher Herr, der Kardinal sucht den Pfarrer..
(Wie sich später heraus stellte, wollte er sagen:
Im Namen des Kardinals, der Herr Kaplan..)
Da erscholl die Fanfare des Postwagens grell und laut -
der Bischofswagen konnte gerade noch einen Satz aus der Ausfahrt machen,
als der von hinten angerempelt und beschädigt wurde.
Dessen Kutscher lief zu dem Postwagen hinter dem Haus und bekam die Peitsche zu spüren.
Die Postkutscher waren berüchtigt und skrupellos.
Marga meinte zu dem jungen blaßen Priester:
"Und ausgerechnet dieser Mensch soll hier zu finden sein? Das würde mich aber wundern!"
Zum Glück war der Erwin da, der den Weg wies-
so schnell, wie er gekommen, so schnell waren sie wieder weg..
"Was war das denn", meinte der Schultheiß- der sich,
bei dem Bier hockend- sicherheitshalber nicht zu erkennen gab,
"Was für ein seltsamer rabenschwarzer Vogel! Ihr habt doch eine Geflügelzucht..."
Alle Gäste lachten- die Gläser klirrten und alle hatten ihre Freude.
So, nun genug der Gaudi, meine Frau wird schon warten und das gibt schnell ein Donnerwetter..
Kleiner als gekommen, zog er wieder ab, der Herr Schulze.
Die Köhlers waren recht oft da und brachten ihre Forellen und die Holzkohle-
zwischen den Familien hatte sich eine richtige Freundschaft entwickelt.
Man munkelt, es würde an ihre hübschen Tochter liegen,
die schon lange ein Auge auf den Karl geworfen hat-
der als sehr tüchtig bekannt war.
Der Köhler dachte- ich habe vier Töchter und kann hier evtl. eine davon "abladen",
gesagt hat er das aber nie, nicht mal zu seiner Frau.
Die Freihöfler waren allemal eine gute Partie, eine sehr gute sogar.
Das war einmal ganz anders- nun verkehrt hier so mancher, von dem man das nie gedacht hätte.
Die Dorfbewohner waren erst einmal ruhig,
man wollte sich nicht versehentlich mit einem der hohen Leute anlegen,
die
in dieser Poststation verkehrten,
zumal auch noch der Sägewerksbesitzer, pardon der Schultheiß oder Schulze ..
Später war durch eben diesen zu erfahren, dass diese seltsame Bischofskutsche im Ort beim Pfarrer gestanden hat-
recht lange sogar und laut soll es aus der Amtsstube des Pfarrhauses getönt haben.
Es war wohl nur ein Kaplan und kein Kardinal- aber so ist das eben mit den Gerüchten-
einer hört was, der andere schnappt es auf- was der dritte denkt ist dabei oft was ganz anderes.
Nach und nach sind die alten Klatschtanten den letzten Weg gegangen,
die Wirte haben "dicht" gemacht,
der Pfarrer wurde vorsichtiger und schon etwas grau..
der Bäcker und der Metzger haben ihre Geschäfte an die Nachkommen weiter gegeben -
was wieder die Nähe zum Freihof brachte, weil sich die Jungen aus der Schule kannten.
Die Besuche der jungen Dora, der Tochter der Köhlers, die hier "ein wenig half",
was sich die beiden jungen Leute geholfen haben ist nicht so recht bekannt geworden-
außer den bekannt sichtbaren äußerlichen Zeichen bei der jungen Frau.
Marga prustete vor Lachen, als sie ihren Verdacht dem Erwin, abends im Bette- erzählte.
..und wie rot der Knabe geworden ist, du meine Güte, man hätte das Licht ausmachen können, so leuchtete er..
Es kam wie es kommen mußte- ein Riesenkrach bahnte sich an, als die Mutter der Dora davon erfuhr.
Ihr Vater hielt die Frau ruhig- laß mal, sagte er ruhig, dann ist eine unter der Haube,
fahre mir nur nicht dazwischen !
Fortan war sie deutlich ruhiger, aber innerlich aufgewühlt, wie das so ist bei Eltern.
"Die haben nun den Altensitz frei, den Margas Eltern bewohnt haben-
besser kann es ein junges Paar nicht treffen.."
Ja, das stimmt schon, meinte Doras Mutter, geldliche Sorgen oder gar Hunger werden die bestimmt nicht haben.
Der Hunger war damals bei vielen Leuten oft zu Gast, auch bei solchen, von denen man das nicht denken sollte.
Der sonstige Verkehr mit dem Fürstenhaus und mit dem Dorf und mit dem Pfarrer
beschränkte sich auf das was war,
sonst war dabei stille Übereinkunft,
nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Die Dorfbewohner sind trotz der Schließung der beiden Wirtshäuser des Ortes nie wieder zum Freihof gekommen.
Lieber ein Burgfriede als Krieg, dachten sich die Freihöfer.
Eines Tages ging die Tür und der "Amsterdamer" kam wieder nach Hause..
Rrrruudolf- schrie Marga, was machst du denn hier?
Rudolf kam mit einem Pferdewagen, mit hoher Plane.
Die Fuhre wurde versorgt, das Pferd ausgespannt, gefüttert und gewässert und gestriegelt,
in eine der Holzboxen getan, wo wohlig dick das Stroh lag und Heu in der Raufe.
Der voll bepackte Wagen kam in die Scheune - in eine stille Ecke, die man mit einem Lattentor sichern konnte.
Es war hier ja die Fürstliche Poststation, da gab es diese Annehmlichkeiten als Selbstverständlichkeit !
(Niemand hatte Lust darauf, heimlich die Kutsche ausgeräumt zu bekommen)
Rudolf hatte noch mehr im "Gepäck":
Zwei Knaben und .. eine Holländerin!
Du meine Güte, meinte Erwin, kommt doch erst mal alle herein in die gute Stube und erzählt mal !
"Die Unruhen in Holland werden immer schlimmer, der Unabhängigkeitskrieg mit Spanien geht nun schon so lange-
wir wollten die Familie nicht gefährden und sind deshalb lieber heimlich davon gefahren.
Mein Arbeitgeber hat noch mehr Kinder, die den Laden übernehmen können und so war er nicht wenig froh,
daß die Tochter mit mir in die sichere Ferne ziehen konnte.
Der Vater hatte freilich längst von dem Freihof gehört, in Amsterdam kommen viele Reisende an,
die Handel trieben und davon -nebenbei- berichtet haben.
Der Abend wurde sehr lang, es war so viel zu erzählen-
die Buben waren noch nicht im Schulalter
und wurden erst einmal
zu den neuen Großeltern ins Ehebett gebracht.
Ohne einen Mucks sind sie eingeschlafen, nachdem sie abgefüttert worden waren und selbstgemachte Brombeer-Limonade bekamen-
Die Fahrt war doch sehr lang und beschwerlich, eine Woche waren sie unterwegs
und haben dabei immer im Wagen geschlafen..
Eine Flasche guter Moselwein wurde geholt und eine Runde Kornbranntwein-
auf diesen Schreck mußte erst einmal "Ordnung gemacht werden".
Die Holländerin hieß Dorthe und war die deutsche Sprache schon recht gut gewöhnt.
Die Paare verstanden sich gut, auch diesmal kam -diesmal ganz spontan- der Familienrat zusammen..
die halbe Nacht brannten die Lichter und es war alles gut.
Andern Tags wurde geplant wo die junge Familie unterkommen sollte.
Der Scheunenanbau an dem Bauernhof könnte als Wohnhaus ausgebaut werden-
aber so recht gefiel das keinem.
Die Lage und auch die Kundschaft und der Ort gefielen der jungen Familie nicht,
deshalb blieben sie nur ein paar Tage und zogen danach weiter nach Rennerod,
wo der Schultheiß eines der alten Geschäftshäuser an der Hauptstraße
in Zahlung genommen hatte - das wollte er gerne vermieten..
Nun war dort ein wenig mehr Urbanität, mehr Menschen drum herum
"nicht gar so viel Land und Landschaft", wie Rudolf meinte..
Alles in allem war es noch eine ruhige Zeit, was sich bald ändern sollte - davon ahnte man hier noch nichts.
| |