Vivarium Seite 1
Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was sie lächerlich finden.
Johann Wolfgang von Goethe
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Er, der alte Krämer wurde durch seinen alten Esel-Freund aufgehalten, der konnte einfach nicht mehr weiter.
Wie wir erfahren haben, war dieser schon ein älteres Semester, als man das Tier dem Krämer anbot.
Nun gab er jenen an den Metzger in einem Dorf, wohl recht genau zwischen Limburg und Burbach im Siegerland,
an der alten Fernstraße, wo regelmäßig Post- und Frachtwagen fuhren.
Er gab dem treuen Freund einen sehr schnellen Tod;
"allemal der letzte Dienst, den ich ihm erweisen darf, ist wohl ein schmerzloser Tod, besser als langes Siechtum",
versuchte er sich selbst zu beruhigen.
Das hat ihn, den Krämer, doch noch viel mehr aus seinen gewohnten Bahnen geworfen..
Der Esel hat noch die Hälfte des einstigen Kaufpreises eingebracht,
den ihm der Metzger 2 Tage später in das kleine Gasthaus des Ortes überbracht hat.
In diesen zwei Tagen half er der Wirtin bei schweren Arbeiten - schon um die Zeche nieder zu halten.
Sie hatte zwei Söhne, einer war eben bei diesem Metzger im letzten Lehrjahr,
der andere beim Bäcker und schon als Geselle dabei,
die Tochter war noch kleiner und ging in die Dorfschule -
als ihr Mann recht schnell an einer schweren Krankheit verstarb.
Schon dessen Vater hatte diese Staublunge gehabt und ist daran ebenso schnell gestorben,-
die Arbeit in der nahen Grube war schwer und sehr ungesund.
So war die Wirtin arg überlastet, das Geld war geschwind alle, weil die Wirtschaft nicht viel abwarf -
Deshalb hat ihr Mann auch in der Grube arbeiten müssen, um die Familie und den Betrieb zu halten.
So unterhielt sie sich mit ihm, dem Krämer, als sie das Essen im Gastraum auftrug.
Als er, der Krämer, seine Kiepe im Gastraum abstellte und seine Zeche bezahlen wollte,
war bereits so ein Gefühl in der Luft - eines, das er bislang noch nie gespürt hatte.
Die Tochter machte ihre Hausarbeit an einem der Tische in der fast immer leeren Gaststube,
als nun die Mutter und .. der Krämer bei dem Kinde hockten und sich ihr Schicksal erzählten.
"Wenn nicht ein Wunder geschieht, muß ich das Gasthaus verkaufen,
zumal auch noch ein Bankdarlehen darauf liegt,
und die Kinder und ich wollen jeden Tag etwas essen,
gekleidet sein und dann das Schulgeld- wie soll ich das alles bezahlen?"
Die Tränen mühsam unterdrückend, erzählte sie mit erstickter Stimme weiter:
"Ich könnte in Diensten gehen, die Kinder zu Verwandten geben- "
Da kam auch schon ein heftiger Protest der Kleinen,
die gerade die Schultafel in den Ranzen schob und den Griffel in den Griffelkasten nestelte.
"Meine Freunde, sehe ich die dann nie mehr wieder?"
Die Mutter versuchte sie zu beruhigen, was ihr aber sichtlich schwer fiel-
denn wenn sie in Stellung ginge, eine Anstellung finden würde,
wäre das im nahen Rennerod und in dem Dienstmädchenzimmer unter dem Dach
der reicheren Häuser und bestimmt keine Bettstatt für das Mädchen -
von der Ernährung mal ganz abgesehen..
wie sollte sie der Kleinen das beibringen?
Wie sollte sie ihr erzählen, daß sie bei der Großtante, die immer so streng war, künftig wohnen ..
Nein, jeder dieser Gedanken war eine Sackgasse.
Die Stimmung färbte auf das Kind ab, das nun langsam den Ernst der Lage begriff.
Die weiten Wiesen, die Freunde, der Bach, das Wäldchen - ihr Zimmerchen,
alles ist auf einmal nicht mehr sicher.
Alles war nun ins Rutschen geraten, unsicher, ungewiß und bedrohlich.
Da ging mit Schwung die Tür zur Wirtsstube auf und die beiden Burschen kamen herein:
"Was ist denn heute wieder los?"
Setzt euch, sagte die Mutter, die im Begriff war, sich von der Wirtin in sich zu trennen.
Sie hob an, nicht irgendwie verlegen wirkend - um die gespannte Atmosphäre zu lockern:
"Der Johann wird bei uns bleiben und auch hier wohnen, wir kommen gut miteinander aus."
Er, der Krämer, fühlte sich fast nicht angesprochen- wann hatte er seinen Namen zuletzt ausgesprochen gehört?
Ja, stotterte er etwas verlegen, er war nicht gerne im Mittelpunkt, noch nie, das war nicht sein Ding.
Die Kinder schauten, als hätten sie einen Geist gesehen und wurden ganz seltsam berührt- - Mutter!
Die Not war in der Trauerzeit oft zu Gast, mehr als Gäste in der Gaststube allemal,
so war der Fall schon deutlich leichter für den "Johann", der auch ein wenig des Wanderns müde war.
Sie war nicht schön, aber warmherzig und sehr ruhig in ihrer Art, sie hat sich nie hängen lassen.
Nun kam ein neuer Lichtstrahl in das alte Gasthaus, das in den Tagen nur einen Gast hatte und das war..
richtig, der Krämer, pardon, der Johann.
Der "Familienrat" tagte am anderen Morgen, an dem er schon längst hätte unterwegs sein sollen,
wäre er nicht in eben dieses Gaststube getappt,
hätte der Metzger, der den armen Esel kaufte, das Geld gleich parat gehabt.
Diese Gedanken schossen noch mal schnell in seinen Kopf,
was tue ich da, ist das richtig, was sollen die Kinder denken, schaffe ich das?
Doch sein wendiges Krämer-Gehirn faßte sich schnell.
Er hatte sich immer fix entscheiden müssen, das war bei ihm seit langen Jahren Alltag.
Die Kinder nannten ihn gerne "Johann", sie hatten kein Grund ihm zu mißtrauen-
er war auch nicht der "gefährliche" oder gar "Frauenheld", eher der kräftige, der zuverlässige Mann.
Zusammen mit dem ältesten Sohn der Irme ging er darauf zu "seiner Bank",
zu diesem Versteck in der Felsenecke im Wald nahe des Knotens.
Der Weg war plötzlich nicht mehr so lang, der Marsch war kurzweilig,
man hatte sich so viel zu erzählen, wobei der neue Sohn andächtig zuhörte.
Man fand auch bald den irdenen Topf in der Felsspalte unter dem vielen Moos
und den alles verdeckenden Farnen,- was dort so wächst.
Sie sahen nur kurz nach, ob der Behälter seinen Inhalt bewahrt hat
oder ob dieser gar schon geplündert worden war..
dem Johann fiel ein Stein vom Herzen- man weiß ja nie, es ist so viel grobes,
arbeitsscheues Volk unterwegs in diesen unsicheren Zeiten.
Im neuen Zuhause zurück, freuten sich die Mitglieder der neuen Familie
auf die Zukunft, die nun eher hoffnungsfroh angebahnt oder angeschlichen ist..
Irme und Johann gingen zur Kasse, um die Schulden abzutragen -
viel war nicht mehr zu zahlen, aber die monatlichen Abträge wogen doch schwer,
wenn kein regelmäßiges Einkommen mehr vorhanden war.
Er bezog also eines der Gastzimmer, man soll es nicht gleich übertreiben-
Kinder sind da arg empfindlich und können so geschwind nicht umdenken oder besser umfühlen.
Wieder wurde der Familienrat einberufen um die Neuigkeiten zu verkünden,
den die Irme und der Johann ausgeheckt haben:
Das Gasthaus war ein länglicher Bau,
der aus einem der typischen Westerwälder Bauernhäuser
entstanden war,
die aus einer Hälfte Wohnhaus und aus der anderen Hälfte als Scheune und Stall gebaut sind.
Mehr als ein paar Gastzimmer waren nicht vorgesehen, dafür war die ehemalige Tenne,
also die andere Hälfte dieses Anwesens,
leer,
nur etwas Kleinkram, ein paar Körbe und eine Leiter,
etliche Bretter und Kleinkram,
ein Futtertrog und eine alte Karre befand sich darin.
Die Bauernwirtschaft hatte schon der Großvater der Kinder aufgegeben,
weil es ihm zu viel war, zu der Grubenarbeit auch noch Feld und Vieh zu versorgen.
Die Großmutter war dazu kaum in der Lage,
sie verstand davon nichts.
Nach dem Tod ihres Mannes übergab sie die Wirtschaft
und zog sich auf ein Zimmer zurück, wo sie nur noch kurze Zeit lebte.
Hinter dem Anwesen, das einige hundert Meter hinter dem Dorf lag,
war nur noch Wiese und ein alter kleiner Hühnerstall,
eine Mistgrube, in der schon lange kein Mist mehr abgeladen worden war.
Das Haus stand mit der Breitseite gut zehn große Schritte von der Straße weg,
das große Grundstück war mit einem Lattenzaun umgeben, wie man das so in dieser Zeit hatte.
Im Westerwald ist nicht viel gewachsen, es ist immer irgendwie recht kalt
und sehr zugig dort auf den Höhen und dieser Ort lag oben,
ziemlich oben sogar.
Der Brunnen war zwischen dem Gasthaus und dem Ort,
fließendes Wasser war damals auf den Dörfern noch unbekannt.
Weite Wiesenflächen, die ab und zu eine Wald-Insel und viele dicke Basaltsteine zeigten,
bilden dort das gewohnte Umfeld.
Die Wiesen sind feucht bis sauer, sie taugen nur den Schafen und Rindvieh als Nahrung-
man muß sich schon sputen, wenn das Heu trocken eingebracht werden soll.
Landwirtschaft, nein, das wollte in der neuen Familie niemand machen,
das war doch zu karg und sehr sehr mühsam.
Dieses Geschäft mußte man gut verstehen, sonst war da nichts zu holen.
Eine Metzgerei oder Bäckerei wollten die Burschen haben-
das redete der Johann schnell wieder aus:
In der Nähe- und das wußten die beiden jungen Leute ganz genau-
waren die alteingesessenen Betriebe, das wäre nichts geworden,
das hätte nur böses Blut gegeben und Konkurrenzkampf.
Da fiel dem Johann seine Kämer-Kiepe wieder ein
und er fing an, darin herum zu suchen.
Ein paar Leckereien waren schnell verteilt-
und als die Kinder sich daran gütlich taten,
darin waren sich auch die beiden Burschen nicht zu schade,
kam ihm ein Einfall:
Was wäre, wenn du deine Gaststube weiter betreibst,
und ich mir in der Tenne einen Krämerladen einrichten würde?
Zimmer müssen wir ja keine anbieten,
so viel Platz haben wir eigentlich nicht für die erweiterte Familie zur Verfügung..
Er sprach im Stillen, wie zu sich selbst,
weil er alleine keine solche Entscheidung treffen mochte.
Die Antwort kam nicht von der Irme, sondern vom ältesten Sohn:
Ich würde mir gerne den oberen Teil der Tenne als Wohnung ausbauen,
der Platz wäre mehr als überreichlich und das Holz ist gut und tragfähig,
das habe ich mir neulich erst genau besehen,
zusammen mit dem Hermann, dem Schulkameraden, der im Sägewerk arbeitet,
von diesem kann ich genug Bretter zu günstigen Preisen bekommen..
und die Fenster habe ich auch schon ausfindig gemacht und..
nun hob Irme an:
Langsam, langsam, das geht mir ein wenig zu schnell -
wie kommst du darauf eine eigene Wohnung haben zu wollen.. oder hast du gar -
sie sprach nicht aus, was sie dachte und jeder im Raum wußte was die Stunde geschlagen hatte..
Die Anne, so hieß ihre Tochter, wußte wohl Bescheid und lachte nun lauthals auf:
"Mutter, du merkst aber auch gar nichts,
Erwin hat doch neulich bei der Marga gestanden und so seltsam geflüstert.."
Nun schluckte auch der andere der beiden Söhne, der Rudolf-
"Heee, du Schlawiner, das ist ja wohl nicht wahr!"
Nun waren endgültig alle überrascht und ganz still geworden-
was für eine Wendung, was für Zeiten !
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