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Des Lebens Lauf
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"Immer weiter, immer weiter."
"Ach was sind wir dumme Leute,
nie genießen wir das Heute.
Unser ganzes Menschenleben ist ein Hasten und ein Streben,
ist ein Bangen, ist ein Sorgen,
heute denkt man schon an Morgen,
morgen an die spätere Zeit,
und kein Mensch genießt das Heut.
Auf des Lebens Stufenleiter
eilt man weiter, immer weiter.
Ja, wir leben zu geschwinde,
gar zu schnell entflieht die Kindheit.
Schon der Knabe in der Schule
sitzt nervös auf seinem Stuhle.
Vor der Fiebel wirds ihm übel,
gar mit Streuben lernt er schreiben
und am liebsten möcht er raus
aus dem schönen Elternhaus.
Denn er glaubt, es wär gescheiter
immer weiter, immer weiter.
Kommt er später in die Lehre,
denkt die halb erwachsenen Jahre,
wenn ich doch erst größer wär
als Soldat beim Militär.
ist er aber erst Rekrut,
ach wie wirds ihm da zu Mut.
Ja, da singt er andre Lieder,
nach der Heimat möcht ich wieder.
Wär ich doch nur erst Gefreiter,
und dann weiter, immer weiter.
Kommt vom Militär er eben,
denkt er schon ans Eheleben.
Dort in jenem Tanzlokale
sah er sie zum ersten Male,
und am Abend bringt er's Liebchen
schon nach Haus bis vor ihr Stübchen.
Hell erregt sagt die Maid:
Junger Mann sie gehn zu weit.
Doch trotzdem geht der Begleiter
immer weiter, immer weiter.
Er noch ganz erhitzt vom Tanze
sagt zu ihr, ich geh aufs Ganze.
Immer näher kommt zur Maid er,
sie rückt weiter, immer weiter.
Doch er sagt, s ist nicht gefährlich,
wirst mein Weibchen brav und ehrlich,
in sechs Wochen bist du mein,
und er küsst das Mägdelein.
Doch nun sagt sie froh und heiter,
küsse weiter, immer weiter.
Nun zählt er schon die Sekunden,
bis man ihn mit ihr verbunden.
Ist es nicht ein toller Einfall,
es hat doch Zeit mit solchem Reinfall.
Bald vermehrt sich die Familie,
und nach Wochen hat er schon,
auf dem Arm den ersten Sohn.
Erst kommt einer, dann ein zweiter
und so weiter, immer weiter.
So entflieht die Zeit wie ein Traum,
und die beiden merkens kaum.
Erst verheiraten sie's Mariechen,
dann verlobt sich ihr Sophiechen,
dann kommt Walter zur Marine,
dann lernt Englisch die Pauline,
dann macht Wilhelm sein Examen,
dann kommen noch zwei junge Damen.
Eine fünfzehn, eine siebzehn,
das kost Hüte, Kleider, Schürzen,
um sie gütig auszustatten
für den künft'gen Herrn und Gatten.
Niemals weiß man wo man dran ist.
Nie gibt's Ruh und Frieden,
wenn die eine an dem Mann ist,
ist die andre schon geschieden.
Ist die Älteste noch zu haben,
hat die Jüngste schon zwei Knaben.
Und so geht es täglich weiter,
immer weiter, immer weiter.
Seh'n sie, so entfliehn die Jahre,
Großpapa kriegt graue Haare,
und der Mondschein zieht sich weiter.
O gar oft hört man ihn klagen
und zu seinen Enkeln sagen:
Nutz den Frühling deines Lebens,
leb' den Sommer nie vergebens.
Denn gar bald stehst du im Herbste,
wenn der Winter kommt, dann sterbste.
Und die Welt geht trotzdem weiter,
immer weiter, immer weiter."
(unbekannter Verfasser)
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