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2020 Kartusche:
Fiktion - Immostabil Invest -
Lennert erbte den Hof seiner Eltern, aber wollte schon sein Leben lang
mit Landwirtschaft nichts zu tun haben.
Deshalb schickten sie ihn zu weiterführenden Schulen,
wo er sein Wirtschaftsabitur, Bachelor und Master machte.
Mit über dreißig Jahren war er endlich fertig und konnte sich mit dem Titel schmücken.
Bis dahin steckte er seine Beine unter den alten Tisch auf dem Hof,
wie man so treffend zu sagen pflegt
und fuhr mit einem Auto herum, das er sich von daheim finanzieren ließ.
Er jobbte mal hier und mal da, für eine regelmäßige Arbeit
war Lennert nicht zu gebrauchen:
"Da zehrt meine kreativen Kräfte auf und das brauche ich nicht!"
Nach ein paar Jahren starben nach einander die Eltern und die Lebensversicherungen wurden ausbezahlt.
Durch die gewünschte einfache Bestattung blieb noch ordentlich Geld übrig,
das "dem lieben Sohne" angedacht war.
Dieser gründete mithilfe des Existenzgründungsprogrammes https://www.deutsch land-startet.de/gruendungstipps-nach-branchen/ seine erste eigene Firma,
die "Immostabil-Invest", die er ausschließlich im Internet positionierte.
So konnte Lennert bequem aus Vaters Büro loslegen.
Bis dahin verpachtete er die Felder und vermietete die Scheune und das Gerät
der Landwirtschaft an einen größeren Nachbarhof.
Lennert hat seinen Hof schätzen lassen und teilte die 1 Million Euro in 10.000 Euro Stückelungen auf.
Bald waren 50 Anteile an Anleger oder Investoren verkauft,
er hielt nur sein vorrübergehendes Wohnrecht für nötig.
Eines Tages meldete sich ein anderer Landwirt und finanzierte mit seiner Bank ein Viertel,
den Rest reservierte sich die Investmentabteilung der Bank - schier als Anlagevermögen.
Lennerts Gewinn lag da, wo man nie und nimmer einen solchen Hof
für 1 Million hätte verkaufen können, trotz der Schätzung,
weil eben nur sehr sehr wenige Leute überhaupt eine Landwirtschaft betreiben wollen
und eine komplette Übernahme viel zu teuer wäre:
Bis der Hof Gewinn abwirft, ist der Käufer schon pleite..
Die Investoren bekamen ihr beglaubigtes Dokument den Grundbuchauszug.
Lennert war nun flüssig und reservierte bald diese und jene Kaufoption von Immobilien im Internet -
ganz allgemein, vorzugsweise solche mit engerer Anbindung zu den Verkehrsadern zur Metropole.
Diese alten Hütten waren zwar total morsch und herunter gekommen - so,
daß selbst das Denkmalamt nichts gegen einen Abriss hätte..
Wieder begann das gleiche Spiel: Schätzung eines unabhängigen Sachverständigen,
Verkauf von Anteilen, Zertifikat und Grundbuchauszug.
Inzwischen schickten einige Investoren Anfragen, sie kamen aus den Rentenfonds oder Sparkassen,
manche sogar aus dem Ausland, wo man wohl eine besondere Affinität
zu deutschen Immobilien hat und den Zuwanderern zinsfreie Darlehen gewährte.
(Mit der Auflage, die Immobilie nie wieder an Deutsche zu verkaufen- kein Witz, das gibt es)
Lennert akzeptierte die letzte Sache nicht, sondern hielt sich die Bedingungen frei.
Er machte auch keinerlei Renditeversprechungen,
sondern verwies nur auf die Beständigkeit solcher Geldanlagen,
selbst wenn man das Gemäuer nicht kaufen mochte -
die Rückzahlung der Einlage an den Investoren war Sache des neuen Eigentümers,
der diesen Kaufvertrag - mit den Grundbucheintragungen über die Fremdanteile - erwarb,
die dann frei verhandelbar blieben oder zurückgekauft werden konnten.
Lennert zahlte artig seine Steuern und betrieb ein ordentliches,
gewinnbringendes Unternehmen - weil seine gekauften oder optionierten Objekte
auf Zwangsversteigerungen oder aus Erbmassen heraus erstand.
Ein wenig hat er das Pokerspiel immer gemocht:
Er galt als "Barzahler":
"Es mag sein, daß das Grundstück mehr wert ist, aber sehen sie mal,
die Altlasten und die Entsorgung und der Abriss sind Faktoren,
die man bedenken muß.
Sie sagen, das Haus in diesem Zustand ist 70.000 Euro wert,
ich aber biete ihnen bar auf die Hand 25.000 Euro, hier und jetzt."
Bei der Hälfte der Erben und Verkaufswilligen zog dieser Trick.
Er machte ..nichts an dem Zustand des Anwesens, sondern wartete ab.
Der Schätzwert von 50.000 Euro war bald von den Investoren aufgefangen:
Er inserierte dieses marode Anwesen tüchtig weiter und bekam von einem Zahnarzt
ein Angebot von 99.000 Euro gemacht- jener baute in dieser Häuserlücke
seine moderne Praxis und freute sich über das Schnäppchen in guter Lage, ein Grundstück, das nicht erschlossen werden mußte.
Abzüglich der Steuern und Verwaltungs- und Notarkosten
waren eben ca 40.000 Euro Reingewinn zu verbuchen.
Diese Geschäfte waren sein Prinzip und dem ging er mit all seiner Kraft nach.
Bald hatte er einen Angestellten im Büro seines Bauernhofes sitzen
und konnte sich auf den Außendienst konzentrieren.
Sein Umsatz wuchs von Woche zu Woche, ein Notar übernahm die Abwicklung
der Kaufverträge und Grundbucheinträge.
Lennert sprach bei der Bank vor und finanzierte 2 weitere Geschäftsstellen,
eine im Norden und eine im Süden des Landes.
Das Muster wurde exakt beibehalten, wie bei den großen Diskountern.
Nun kam noch ein Steueranwalt dazu und die Sache lief rund.
Jede Investition seinerseits konnte gemütlich über die Steuer abgesetzt und abgeschrieben werden.
Lennert erhielt bei allen seinen Angestellten Zuschüsse des Arbeitsamtes
und er sah sich die Bewerber- meistens Langzeitarbeitslose- ganz genau an.
Seine Beschäftigungsgarantie bei entsprechender persönlicher Eigung sprach sich schnell herum.
Bald expantierte die Firma Immostabil Invest in einige europäische Länder
und er konnte sich auf die Geschäftsleitung konzentrieren,
während Außendienstmitarbeiter seinen eigentlichen Job übernahmen - Aquise und Realisierung.
Die Gewinne wurden von Anfang an immer wieder in neue Objekte investiert,
denn totes Kapital war nicht sein Ding.
Bald kamen die großen Rentenfonds dahinter und klinkten sich ein,
zumal auch Hochhäuser in Lennerts Portfolio kamen.
Mit jungen Jahren war er schon recht bekannt und die Firma Immostabil Invest GmbH
firmierte um und ging an die Börse und von da an ging die Expansion richtig los!
Die Börsennotierungen gingen schnell hoch und an der vermutlichen oder mutmaßlichen Spitze
dieser Entwicklung verkaufte Lennert das Unternehmen an eine Bankengruppe.
Blitzschnell und ohne Skrupel.
Das war sein eigentliches Ziel.
Ein kleines altes Winzerhäuschen über der Mosel,
das er bei seinen Erkundungen entdeckt, aber nicht ins Portfolio steckte,
hat er bar erworben
und gab am selben Tag seinen Prestigewagen
bei der Leasingfirma zurück.
In der kleinen Stadt fand er einen
alten, unauffälligen Kleinwagen, zahlte bar.
Danach
restaurierte er das Winzerhäusen eigenhändig und mit viel Freude,
suchte sich im Tierheim einen gemütlichen Hund aus.
Fortan
ruhte er sich aus, wie damals bei den Eltern..
..über Geld hat er nie gesprochen, aber es wird wohl gereicht haben
bis an sein seelig Ende, auch ohne staatliche Rente!
Wie er so am flackernden Ofenfeuer saß, laß er die Zeitung:
"Immostabil-Invest auf Sinkflug, Steuerbehörde schließt Schlupfloch"
Er goß sich einen Grog auf, nahm das Stück Torte aus dem Kühlschrank und schaute über die Weinberge..
da klopfte jemand an die Tür.
Ja bitte?
Ich bin Lena Schulz (der Name ist freilich abgeändert), die Steuerbehörde schickt mich um ein paar Dinge zu klären.
Darauf hat Lennert gewartet - nehmen sie bitte Platz.
Sie setzte sich umständlich, der Rock war wohl doch zu kurz
und eng und so rutschte dieser über jede angedachte Linie -
oder auf der langen Anfahrt durch die kurvigen Weinbergwege ist das Material ein wenig zu sehr gestaucht worden.
Während sie am Rock zupfte und gleichzeitig ihren Tablet-PC
aus der Tasche kramte,
hat Lennert ihr wortlos einen Kaffee und das Stück Torte hingeschoben.
Sie stach ab und an etwas davon ab, fragte nach Zucker und begann
mit ihrer Ausführung:
Sie haben ihr Unternehmen sehr schnell veräußert, wie kam das?
Lennert murmelte etwas von "der Zeitpunkt war günstig und ich hatte auch keine Lust mehr,
wissen sie, ich bin ein kreativer Mensch und brauche immer neue Herausforderungen im Leben!
Schlimm, dachte er - der Glastisch ist für sie ziemlich "suboptimal"..
Sie schluckte stumm, so ganz jung war sie auch nicht mehr - aber noch gut beieinander.
(Was eben durch die Tischplatte leicht zu ersehen war)
Die Augen trafen sich verstohlen, wie Diebe in der Nacht.
Bevor die Situation peinlich wurde, legte er seine Unterlagen über den Verkauf
und die Löschungsurkunden der Firma,
Rückgabe des Gewerbescheins, Steuerbescheid und Quittung auf den Tisch.
Alles war tiptop, das war das letzte Werk seines Anwaltes und Notars, alles hieb- und stichfest.
Sie sagte: Deshalb bin ich nicht hier, es geht um ihren Gewinn aus der Firma, der nachversteuert werden muß.
Welchen Gewinn?
Nun, sagen wir es mal so, meinte sie - ohne einen satten Gewinn
werden sie sich wohl nicht zurück gezogen haben- oder?
Ach so, dafür habe ich Weinberge gekauft und verpachtet -
aus diesen schmalen Einnahmen muß ich nun leben.
Aha, das ist schon der 2. "Arme", den ich heute besuchen muß-
beide lächelten ziemlich linkisch.
Ja, sagte Lennert, es ist schon hart dieses Leben.
Ich bleibe auf alle Fälle haargenau unter der Besteuerungsgrenze, die ich auf 2 Personen vorgedacht habe.
Also genau am Steuerfreibetrag.
Stille.
Sind sie vergeben?
Sie wurde puderrot und der Rock und das Puder verloren nun vollends ihre Fasson.
Man soll nicht glauben, was die biologische Uhr alles bewirken kann:
Sie faßte sich kurz, packte ihre Sachen ein, trank aus und versprach in zwei Tagen wieder vorbei zu kommen.
Er kratzte sich am Kopf, der Hund auch.
Seine Gedanken kreisten um jedes Wort, das gewechselt worden war, auch um den Rock.
An Einschlafen war nicht zu denken und so schaute er fern
bis in die Nacht.
Der nächste Tag kam.
Gedankenversunken strich er die Haustür von außen nochmal über, denn nach dem 1. Anstrich sah man noch Flecken.
"Wenn Lena tatsächlich nochmal kommt, dann soll alles so gut ausschauen wie möglich"
Noch etwas Splitt auf der Einfahrt rechen, die Bank vor dem Fenster aufstellen,
neue Bettwäsche aufziehen und geschwind nochmal putzen..
..am Abend schlief er wie ein Murmeltier vor dem Fernseher ein.
Der Hund klopfte mit dem Schwanz - sehr laut und durchdringend -
dann fuhr ein Auto die Auffahrt hinauf und der Kies knirschte.
Mit rotem Kopf kam Lena zur Tür und wollte klopfen,
als diese schon aufgemacht wurde und sie sich umarmten.
Sie bat ihn, die Koffer aus dem Auto zu holen - es waren etliche -
und am nächsten Tag brachten sie ihren Leasingwagen zurück
und fuhren mit seinem alten Kleinwagen in den Einkaufsmarkt.
Sie haben keine Kinder haben wollen und sich auch so bestens verstanden.
Er hat ihr gebeichtet, daß die Steuererklärung stimmte,
aber das über diese genau passenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung hinaus
noch "etwas zurück gelegt worden sei",
was er angeblich in der Spielbank verbraten und unter Verluste abgesetzt hatte.
Ohne irgendwo ein verräterisches Konto dafür angelegt zu haben,
blieb er immer flüssig.
Sie hat ihren Job an den Nagel gehängt und lebte mit Lennart zusammen - ohne Arbeitslosengeld zu beantragen.
Ein wenig Weinbau haben sie betrieben - mehr aber auch nicht.
Beide sind immer bescheiden geblieben und haben sich genügt.
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