2020 Kartusche: Rhetorik oder Philosphie;
Handwerker versus Erfinder.
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Die Achtung vor der Natur, die Suche nach dem Verbindenden,
sollte vor dem Trennenden stehen,
die Suche nach den Gemeinsamkeiten uns Menschen
selbstverständlicher sein,
als die Suche nach dem Unterscheidenden,
das der ewige Twist der Glaubensgemeinschaften ist und der stete Grund für schlimmes Leid ..
(Eigene Erkenntnis)
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Das Buch "Die Macht der Rede" von Wilfried Stroh
erzählt von der Rhetorik und verliert sich zuweilen in einer Art rednerischer Technikverliebtheit.
Seite 20 schreibt der Autor "Überreden tut nämlich immer der andere"
Tut tut.. die Eisenbahn
Seite 37: "..denn sein eines Werk... hat insgesamt rhetorisch überredenden Charakter"
Seite 56: "ich übersetze so wörtlich als möglich"
So helle sind studierte Leute.
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Seite 64 lese ich von Erhard Eppler, der christl. pazifistischen SPD Linken, wie man sich ausdrückt.
Dieser soll 1981 beim Natodoppelbeschluß folgendes gesagt haben,
das ein "mehrteiliges Isokolon" gewesen sein,
das wohl kaum ein Hörer auf die griechische Rhetorikschule kommen ließ.
Kein Wunder, denn wir leben heute
und die deutsche unterscheidet sich von der griechischen Sprache
nicht nur durch Phonetik, sondern auch durch den Wortsinn ziemlich,
was nicht nur an der enormen Zeitverschiebung liegt.
Eher an der Mentalität und der damaligen Epoche,
wo Gebildete wohl nur wenige anzutreffen waren.
(Sehr interessant ist das Thema der damaligen Promotion dieses Parteigängers zum Dr. phil. !
So eine Art "Raumleere" möchte ich meinen:
"Der Aufbegehrende und der Verzweifelnde als Heldenfigur der elisabethanischen Tragödie"
Umstritten sind alle Erfolgreichen allemal.
Hier muß sich jeder sein eigenes Bild machen -
mir geht es nur um untenstehende Rede,
der Grund für meine Zeilen am Eingang.)
Ich zitiere einmal:
"Wir feiern hierzulande den Mut der Polen,
die sich nicht mehr vorschreiben lassen wollen,
wie sie zu leben haben.
Ist es so schlimm,
wenn wir uns nicht vorschreiben lassen wollen,
wie wir zu sterben haben?
Jeder Stein, der heute geworfen wird,
wäre ein Stein gegen die Friedensbewegung.
Jede Bombe, die einen Amerikaner treffen soll,
trifft uns alle.
Daher muß dies eine Bewegung sein
der Mutigen, nicht der Ängstlichen,
der Diskutierenden, nicht der Schreienden,
der Selbstkritischen, nicht der Arroganten,
der einfaltsreich Agierenden, nicht der stumpf Parierenden,
der Friedlichen, nicht der Gewalttätigen,
der Fröhlichen, nicht der Fantastischen,
der Liebenden, nicht der Hassenden."
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Der Buchautor gibt ja zu, daß die Rhetorik nichts anderes sei,
als die Technik den Zuhörer auf seine Seite zu ziehen, zu überreden..
dazu muß man seine innere "Ladehemmung" überwinden,
wenn es um das Gespräch in der Öffentlichkeit geht.
Nochmal brisanter ist, wenn man eine Rede halten muß und noch haariger,
wenn diese aus dem Stehgreif erfolgen muß.
Die Selbstsicherheit ist schon fast an Wahnsinn,
wenn gar Rufe aus dem Publikum nicht verwirren oder gar laut werden lassen.
Gorgias, der alte Grieche soll dabei wohl gerne laut gewesen sein..
(Nicht gerade ein Vorbild - "hätten wir doch alle die Stimmgewalt des Gorgias!", Seite 69)
Seite 87 beschreibt die "radikalste Demokratie,
die es je gegeben hat" im Jahre 400 v.Chr. in Athen
mit Entschädigungs-Tagegeld für Abgeordnete und Richter,
sozusagen Vorläufer der heutigen Diäten.
Allerdings durften weder Migranten oder Sklaven noch Frauen mit abstimmen
und die Zahl der neuen Bestimmer war auf 500 festgelegt,
was wohl durch Gewogenheiten nochmal eine Selektion brachte.
Man darf wohl davon ausgehen, daß die gleiche Patriziergruppe
wie in Rom das große Sagen hatte- als "eine Art Volkssport", wie ich lese.
Ab Seite 126 bis 143 ergießt sich Isokrates
als Vordenker des modernen Humanismus -
zumindest nimmt man das an.
"Abeunt studia in mores"
würde ich nicht als
"Geistige Studien bessern die Sitten"
übersetzen, wie der Verfasser
und auch die Inschriftensetzer der Lyzeen oder Gymnasien
dies getan haben oder besser taten.
Vielmehr halte ich aus meinem Sprachverständnis heraus
vielleicht
"Die Gelehrsamkeit geht in die Sitten ein" -
sicher wäre meine Formulierung auch ganz anders gewesen:
"Laudamur Diligentiam Humanitatem".
Mit Sicherheit lassen sich viele Phrasen finden,
die Bildung und Sitten zusammen bringen könnten.
Mir persönlich fehlt dabei immer die Reminiszenz
an die Schule des Lebens und die Humanität.
(wo quasi das Christentum ein "Copyright" zu besitzen scheint, aber nur scheint,
wenn man die Geschichte dieser Religionsrichtung genau beleucht)
Seite 162 Mitte (19):
"Als Platon das schrieb, war er der Geliebte des Sokrates"
17 und 57 Jahre. Ein vorbildhaftes Leben von Philosophen?
Mit Sicherheit nicht.
Seite 163 - Platon verspottet in der Politeia wie kein anderer die Demokratie..
So stellt sich mir die berechtigte Frage:
Taugen die alten Griechen überhaupt für den Schulunterricht?
Seite 183 oben der Autor spricht von "sprachlicher Korrektheit", was ich für einen Ausdruck
der Halbbildung erachte.
"Sprachlich richtig" - wäre wohl zu einfach gewesen?
Seite 188 Demosthenes kommt mir wie der typische Student vor..
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Dieses Buch ist auf alle Fälle geeignet, ein und für alle Mal
jegliches Studium der Philosophie, Rhetorik, Altgriechisch und deren Überlieferungen oder Geschichte
als überflüssig anzusehen - genau wie Latein - wieviel Zeit könnte dadurch
den nützlicheren Studien zur Verfügung stehen!
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Interessant fand ich den Spruch auf Seite 199,
welcher mich an die Gepflogenheiten des allgemeinen Vereinslebens erinnert, welches ich partout nicht leiden kann:
"Wenn es darum ginge, über einen neuen Sachverhalt zu reden, ihr Männer von Athen, würde ich mich zurückhalten, bis die meisten von denen, die das zu tun pflegen, ihre Meinung bekundet hätten, um, wenn mir etwas gefiele von dem, was diese gesagt hätten, stumm zu bleiben, wen nicht, um selbst zu versuchen, was ich denke, auszudrücken."
Dieses verquirlte Duckmäusertum liegt mir nicht und wenn hier nochmal Kritik an dem falschen Genitiv angebracht werden darf, erklärt es um so mehr die heute üblich anglizistische Form: "Männer von Athen" und nicht "Männer Athens".
Verwunderlich bleibt doch, daß sich dieser holprige Stil überall durchzusetzen scheint, die Lateiner hätten "balbuieren" dazu gesagt.
Seite 211: "Leider war dieser Mann.. nicht ganz glücklich gewählt Aischines fand in der Vergangenheit des Timarchos, einem Freund des Demosthenes- homoerotische Jugendsünden" (Seite212-213) "Welcher Timarchos? Der Strichjunge?"
In Athen war männliche Prostitution nicht strafbar, aber auch nicht ehrbar, um öffentlich zu sprechen.
Auf Seite 242 ist jene Dame Phryne als Gottlosigkeit und Hetäre dabei anzubieten, ganz Theben aus eigener Tasche wieder aufbauen zu lassen.. da war wohl die öffentliche Meinung gegen, nach welcher es als geradezu skandalös galt, sich dem anderen Geschlecht außerehelich hinzugeben. (Zwangsverheiratungen waren die Regel und so kam auf, daß "wahre Liebe" nur gleichgeschlechtlich sein könne.. ob das zum Untergang dieser Kultur führte?
Heute zeichnen sich ähnliche unheilige oder sinnentstellende Tendenzen ab: Wenn es den Leuten zu gut geht, werden sie wohl von gleichen Geschlecht angezogen. Vielleicht doch eine Krankheit- eine seelische?)
Auf Seite 217 lese ich zum ersten Mal das Wort "Rechtsstaat".
Dionysios spricht auf Seite 252 von "Afterkunst", wenn man die Modi von Dramen und Luststücken vermischt.
Seite 255 entgegen dem allgemeinen Trend rät Epikur von der Beschäftigung mit der Politik und mit der Rhetorik ab.
(Dieser Meinung schließe ich mich gerne an)
Seite 267 erzählt vom alten Cato und seinem weisen Spruch:
"Rem tene, verba sequentur!"
In seinem Landgut Tusculum kannte er die Landwirtschaft und die geraden Worte wohl.
Das wäre ein Politiker nach meinem Geschmack!
Seite 329 - Cicero habe, so lese ich, "euphorische und fürchterlich depressive Phasen gehabt".
Seite 333 Cicero "besingt sich selbst".
Seite 334 Cicero wird als Handlanger der Mächtigen angeprangert.
Seite 335 in Rom wie in Griechenland brauchten die Verteidiger in Prozessen keinesfalls bei der Wahrheit bleiben, wörtlich: Ggf betrügen und lügen um zu gewinnen..
Seite 336 Unredlichkeiten Ciceros.
Seite 359 - War Cicero ein Prahler?
Seite 372 Artikel 1 und 2 zu obiger Einschätzung.
(Geschwollen, zu Wiederholungen neigend, weichlich;
sein Lehrer stammte aus Kleinasien, dazu sagte man damals
erstmalig "Asiate" oder "Asianer".
Seite 379 Cicero wollte die attischen Spielarten der Rede, die auch noch für verschiedene Objektklassen galten, widerlegen und sein eigenes rhetorisches System oder Stil als das / der Optimale (Fall) etablieren, als platonische Matrix..
1. Belehrung, 2. Ethos, 3. Erschütterung (attisch)
Seite 383 Der Auctor Quintilian als Raster der Rede - besser als Cicero? (Quintilian machte sich sogenannte Eselsbrücken des Handlungsablaufes in Bildschemata)
Seite 386 Cicero versteht angeblich die Machtmenschen nicht.. obwohl er selbst mit den Reden Macht ausübt und den Mächtigen nachläuft.
Seite 390 Adoptivgeschichte oder Cäsarendurcheinander der Macht.
Seite 397 Betreibt Cicero Kriegspropaganda?
Seite 396 bis 400 - er verlor einen Schwur und bekam ein unrühmliches Ende.
Seite 402 Fußnote lesen- Redezeitbegrenzung im Senat Roms.
"Dauerredner als Verschleppungstaktiker"
Seite 433 Quintilians typischer Lehrer-Lebensirrtum,
Seite 435 er meint, daß nur ein guter Mensch ein guter Redner sein könne, hat aber dabei "vergessen", daß er durch Denunz(t)iation sein Geld gemacht hat.. tragisch finde ich, dass ausgerechnet Goethe diesen Quinilian "zeitlebens" gelesen hat. Hier könnte ich Rückschlüsse ziehen und meine bislang gute Meinung doch ein wenig revidieren.
Seite 450 - "manche Philologen sprechen von "Konzertrednern" - könnte das nicht die Kulturform von unseren "Dampfplauderern" sein, die fortan die Parlamente behelligen mit ihrem gehaltlosen Geschwätz, als verwilderte Form des damaligen "Ohrenschmauses"?
Seite 453 wirft die Frage auf, ob Altsprachler vielleicht versuchen, die Sprache Goethes oder Luthers in die Neuzeit zu bringen? Dort lese ich aber auch einen sehr interessanten Tipp bezüglich der "Würzung der Sprache durch alte Ausdrücke", die man genau wissend "auf der Zunge tragen müsse". Damit kann man sicherlich die Aufmerksamkeit der Zuhörer erringen, das habe ich selbst oft genug ausprobiert. Allerdings sollte man diese alten Wortbegriffe auch ganz genau kennen und auf Verlangen auch erklären können..
Seite 460 Zyniker! Ein Hund "Kyon" lebt nur nach seinem Bauch, eine Art "Hundephilosophie" meint der Buchautor - daher käme das Wort "Zyniker", aus dem Griechischen.
Seite 485 ist schon spannender, denn hier wird Petrus als die treibende Kraft für die Hinrichtung (Steinigung) des Stephanus verantwortlich gezeichnet, der ihm zuvor seine Botschaft ins Griechische übersetzt hat. (Petrus hat wohl kein Griechisch gesprochen). "Saulus, Paulus, Damaskuserlebnis durch Jesu Stimme"
Seite 487 Paulus sah unterwegs in Griechenland Tempel mit der Inschrift wie "dem unbekannten Gotte" - damals wollte man auf keinen Fall irgendeinen Gott erzürnen, der sich übergangen gefühlt haben könnte.. mit diesem Background ging er auf Mission nach Griechenland und erzählte von dem Gott, dem man huldigt, aber noch nicht kannte. So kam Jehova dort an und Jesu Botschaft. Rhetorik als Überredungstrick?
Seite 490 Die Apologeten , Prozesse gegen Christen , die man für eine kinderfressende Sekte oder zumindest für Atheisten hielt..
Seite 511 Als 1. "Märtyrer" der jungen Christenheit galt ausgerechnet jener Stephanus, der Petrus damals ins Griechische übersetzte, jener Helfer, den der spätere "Fels" oder Stellvertreter Gottes zur Richtbank brachte.
Das alleine hätte Petrus allemal vollkommen unhaltbar für alle Gläubigen machen müssen, denn so viel Ungerechtigkeit von einem Prediger, ja Propheten ertragen zu müssen, ist unerträglich. Daß damals Gott nicht eingegriffen hat, gibt Nietzsche ganz klar recht..
Wie weit man in den Schulen oder Gymnasien in die Rhetorik einsteigen kann, wird eher dem Gusto anheim gestellt werden müssen: Die Zeit ist knapp und nicht jeder hat ein Redetalent. Wird also der Unterricht in Stil und Rhetorik bindend, ergibt sich für viele Schüler ein automatisches Manko, wie für einen Dicken der Sportunterricht. Ich finde, daß sowieso viel zu wenig auf die persönliche Begabung eingegangen wird und Bildung pauschal mit der Wanne übergekippt..
Die Kunst der Rede darf man nicht über die des haptischen Geschickes oder über die kreativen geistigen oder praktischen Begabungen stellen. Alles zusammen, jede dieser Spezialisten zusammen gefaßt, ergibt erst einen Innovationsschub.
(Besser, als wenn alle kleine Goethes oder Schillers oder Heines etc. werden wollten: Spezialisten oder Akademiker straucheln zu sehen, ist mir ein Plaisier, das jenen den Hochmut ein wenig stutzt. Was ist ein Philologe ohne einen Mitmenschen, der Essen herstellen oder ein Bad kacheln oder eine Verstopfung der Toilette beseitigen kann? Nichts, außer einem wortlosen Wolkenschaufler, der Angesichts des kleinen persönlichen Chaos.. !)
Seite 535 führt im Anhang fort mit dem Hinweis auf Friedrich Schleiermacher, Platons Kritik an der Rhetorik in alter, direkter Übersetzung. Wem die neueren Formen der Auslegung besser gefallen, wird mit weiteren Autoren beglückt.
Für mich persönlich ist mit diesem Buch "Die Macht der Rede" der Ausflug in das antike Griechenland beendet. Überzeugt hat der Autor, aber nicht die Thematik.
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