Zwischenruf im 73. Lebensjahr
Im Ahnensaal zu Runkel.
(Verfasser unbekannt)
Ein Künstler zog ins Land hinaus,
Zu malen Burgen, Schloß und Haus
Und Tal und Berg und Strom und Land
Am Rhein-, am Lahn- und Moselstrand:
Da kam er auch nach Runkel.
"Potz Blitz, für meinen Pinsel was!
Ein schönes altes Schloß ist das,
Ruinenhaft, romantisch, wild-
Ich glaub', das gibt ein gutes Bild:
Die alte Burg zu Runkel."
Flugs wirft er sie auf sein Papier,
Der Sonne Glut versengt ihn schier.
Doch als die dann zur Ruhe geht,
In Farben schon vollendet steht
Das Bild vom Schlosse Runkel.
Nun wandert er im Mondenschein
In die verfallnen Mauern ein.
"Hallo! Ist hier kein Schlafgemach,
Wo man bis morgen ruhen mag,
Herr Kastellan von Runkel?"
"Hier schlaft im Schein des Mondenlichts.
Die Herrn und Frauen tun Euch nichts.
Wo das vergilbte Lager steht,
Macht's Euch bequem, so gut es geht.
Gute Nacht im Schlosse Runkel."
Der Alte geht, der Maler gähnt,
Hat's Bild dort an die Wand gelehnt,
Sich auf die Kissen hingestreckt,
Mit seinem Mantel zugedeckt.
Still ist's im Schlosse Runkel.
Nur leise schwirt's im fahlen Schein,
Das wird ein Fledermäuschen sein.
Im Holze pickt und sägt der Wurm,
Der zwölfte Schlag verhallt vom Turm
Der Burgkapelle von Runkel.
Da wispert es und klirrt und rauscht -
Der Maler schaut sich um und lauscht.
Lebendig wird die Bilderwand,
Sie recken und strecken Fuß und Hand,
Die Herren und Frauen von Runkel.
Sie steigen herab, sie wandeln umher -
Rings starren die Rahmen kahl und leer.
Sie grüßen sich, sie flüstern leis.
Dem Maler perlt von der Stirn der Schweiß:
"O wär' ich erst fort von Runkel!"
Und Frauen in wunderlicher Zier
Mit Perlen und Spitzen, mit Kreuz und Brevier.
Die eine hält ihr Hündchen empor,
Der andern folgt ein grinsender Mohr.
Welch edle Damen von Runkel!
Sie lachen und plaudern; es wackelt der Kopf,
Der Puder staubt von Perücke und Zopf.
An die Marmorkamine setzen sie sich,
An Schach und Würfel ergötzen sie sich,
Die Ahnen des Hauses Runkel.
Und einer im Frack und krausen Jabot
Mit Schnallenschuhen und Seidentrikot,
Dereinst ein Kenner und großer Mäzen,
Hat des Malers fertiges Bild gesehn:
"Parbleu, das ist ja Runkel!"
Schnell sammelt sich ein bunter Kreis.
Man bewundert die Kunst, das Talent und den Fleiß.
Der Maler sitzt auf dem Kanapee,
Ihm sträubt das Haar sich in die Höh':
"Der Teufel hole dies Runkel"
Jetzt sehen sie ihn, potz sapperment!
Es regnet gar manches Kompliment.
Von Zeichnung und Farbe, von Stimmung und Ton
Sind alle zusammen begeistert schon,
Da naht sich der Ahnherr von Runkel.
Held Roceval reicht dem Künstler die Hand:
"Du scheinst die Zierde von Deinem Stand.
Nimm diesen Becher von Golde schwer,
Hier goldene Ketten, dort liegt noch mehr:
Dein sei der Schatz von Runkel.
Du hast die Burg so schön gemalt,
Drum sei mit Gold und Schmuck bezahlt;
Hier noch die Truhe voll edlem Gestein,
Auch dieses Wehrgehänge sei Dein
Als Dank von dem Ahnen von Runkel.
Und hier noch ein Fäßchen uralten Weins."
Der Maler schmunzelt - da schlägt es eins.
Auf wacht er vom Schlummer; es war nur ein Traum.
Still hängen die Bilder im einsamen Raum
Des Ahnensaales von Runkel.
Am Morgen, als nun die Sonn' erwacht,
Hat er flugs mit dem Bild sich aufgemacht.
Im Wirtshaus drunten beim Weine gut,
Da ward ihm erst wieder wohl zu Mut.
Nie sah man ihn wieder in Runkel.
***
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