Kartuschen - Thema: Karls Ruhebank 4. Teil
Karl war die ganze Woche irgendwie in Gedanken an diese Küstersfrau und es gruselte ihm dabei.
Wer waren wohl ihre Nachkommen, gar die Inhaber dieses neuen prächtigen Ladens?
Er beschloß das Museum zu bemühen und wurde fündig-
es war der gleiche Name, der über dem Eingang des Ladens stand,
wie der jener damaligen Mörderin, der "schnappisch Grit".
Das hielt er für seinen Heimatroman fest, welcher nun einen Namen bekam:
"Die schnappisch Grit".
Hier erdachte er sich die Leben der Nachkommen,
wob viele alte Tatsachen mit hinein, baute eine Saga drum herum.
Langweilig wurde dieses Thema nie und so kam Seite für Seite dazu,
immer schön schichtweise,
wie die Generationen in seinem Kopf wuchsen bis zum heutigen Tag.
Am Sonntag aber ging er wieder am Kiosk vorbei,
erzählte aber nichts vom Roman und auch nichts vom Fund,
denn er wollte sich nicht wichtig tun
und sollte dieser Roman eines schönen Tages veröffentlicht werden, durfte kein Vorgriff sein.
"Einssiebzig bitte!"
Ach, schon wieder teurer geworden?
Ja, der Zeitungsverlag hat kräftig aufgeschlagen, weil immer weniger Leser dieses Blatt kaufen.
Na ja, die haben es auch nicht leicht, immer neue Artikel und Überschriften zu finden,
dachte er, zahlte, grüßte und ging auf seinen Weg hinaus in die Natur.
Unterwegs sprangen zwei richtige große Feldhasen über den Weg,
ohne Eile - vermutlich haben sie den Karl schon oft dort entlang gehen sehen,
aus dem Versteck heraus.
Das Wäldchen war nun zu einer Lichtung geworden, am Weg
lagen haufenweise Stämme, die auf den Abtransport warteten.
So ging er wieder außen herum, den Pfad über die alte Feldscheune.
Der Weg durch den Wald war total vermatscht und unpassierbar.
Die Feldscheune hatte nun einen freigeschnittenen Zugang, weil die Heimatforscher dort zugange waren.
Sie hatten ein Holzschild aufgestellt und den Original-Fundort
mit einem Bild der Feldschuhe hinter Glas aufgehängt,
sonst aber alles so gelassen wie Karl und der Landstreicher es vorfanden.
Man hat die Scheune stabilisiert, das Dach geflickt, daß kein Besucher zu Schaden kam.
Die ganze Geschichte wurde -hinter Glas- von der Zeitungsredaktion (mit Werbung) gestiftet,
so daß jeder im Bilde war, der sich für Heimatkunde interessierte.
Die Sache war auch bald in den Wanderführern zu lesen.
Karl ging weiter, traf den alten Weg und ging diesen bis zu seiner Aussichtsbank.
Dort saß aber bereits ein älterer Mann, der Karl offenbar erwartete.
"Ich bin vom Kiosk-Otto zu diesem Treffpunkt geschickt worden,
weil ich nach den Hintergründen des Fundes fragte.
Ihre Wohnadresse kennt Otto nicht, wohl aber ihr sonntägliches Wanderziel.
Entschuldigen sie mein Eindringen in ihre Welt, aber die Sache ist so fesselnd, daß ich nicht anders konnte.
Inzwischen habe ich einige Nachforschungen angestellt-
wissen sie, mein Haus ist fast gegenüber dieses Ladens..!"
Karl staunte und hörte weiter zu.
"Meine Eltern und Großeltern und Urgroßeltern wohnten in unserem Haus,
das schon sehr alt ist, eines der letzten alten Fachwerkhäuser des Ortes, das noch einen Ziehbrunnen hat.
Die "schappisch Grit" wurde bei uns 'das Rabenaas' genannt,
eine Gruselgeschichte für die Kinder, die Nachts nicht aus dem Haus gehen sollten.
Die Alte mit dem humpelnden Gang war wohlbekannt und gefürchtet,
sie betrieb damals mit ihren Halbbrüdern
eine kleine Leihbücherei mit Molkereiprodukten,
eine seltsame Mischung - in einem der Zimmer des alten Bauernhauses.
Sie sah sehr schlecht, trotz dicker Brille, so daß sie praktisch mit der Nase auf dem Blatt lesen mußte.
Wir Kinder fürchteten uns vor der Hexe, wie wir sie nannten und weigerten uns dort hin zu gehen um Milch zu holen.
Der Opa holte oder besser lieh dort seine Romane und brachte dabei auch gleich Quark, Butter und Milch mit."
Halt, nicht so schnell, ich komme mit dem Schreiben kaum hinterher, so Karl.
Der Mann stellte sich als Schuster Ferdi vor und erzählte weiter:
"Alle meine Vorväter waren Schuster, deshalb habe auch ich diesen Beruf ergriffen,
der mich weit nach Frankfurt und Offenbach zur Ledermesse führte - alles zu Fuß,
später mit dem Zug. Dort erfuhr man wieder andere Dinge und brachte diese mit den Lederstücken in den Ort.
Das Rabenaas erfuhr diese Neuigkeiten über den Opa, so verbreitete sich alles im Ort,
wie das eben so war in der alten Zeit."
Der Karl meinte nur:
Der zeitliche Ablauf ist aber nicht stimmig, denn diese "schnappisch Grit" ist vor 200 Jahren -
und sie sind vielleicht gerade mal 75 Jahre alt - wie konnten sie diese Frau kennen?
"Das ist eben der Grund, weshalb ich mit ihren sprechen wollte:
Das Rabenaas ist erst im vorigen Jahr gestorben und keiner hat bis dahin
in die Familienverhältnisse dieser Familie sehen können,
niemand kam in die Wohnräume und was mit den anderen Bewohnern des Hauses war, erfuhr auch niemand.
Das Anwesen war weit nach außen bis in den kleinen Wald, gut eingeheckt und eingezäunt.
Sie lebten vom Verkauf geschlachteter Hasen und Hühner oder Enten,
waren total zurück gezogen, sprachen mit niemanden.
Das tat allein die Grit."
Das ginge heute nicht mehr, so meinte Karl, heute wird alles genau durchleuchtet
und die Steuer geprüft, das Gesundheitsamt und die Veterinärkontrollen und so weiter.
"Das war wohl auch der Grund für das Verschwinden dieser Leute, wo niemand um deren Verbleib etwas wußte.
Das Anwesen verfiel nach dem Tode der Grit sehr schnell und im Garten fand man viele Gräber, in denen keine Leichen gefunden wurden.
Die Behörden und die Ortsbewohner stehen bis heute vor einem Rätsel.."
Karl staunte und schrieb und schrieb, darüber vergaß er die Zeit und die Zeitung,
beide teilten sich den Schnaps und verabschiedeten sich herzlich.
Es dämmerte schon, als er an der alten Scheune vorbei kam
und dort einen Schatten davon huschen sah -
es war kein Tier..
Daheim angekommen, erzählte er Karla seine Erlebnisse..
Weiter zum Teil 5. und letzter der Geschichte "Karls Ruhebank.
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