Kartuschen - Thema: Karls Ruhebank 1. Teil
Der Karl ging schon seit Jahrzehnten jeden Sonntag seinen Lieblingsweg,
aus dem Ort über die Höhe, durch ein Wäldchen bis zum Aussichtspunkt ins nächste Tal.
Hier war man alleine und konnte seinen Gedanken nachhängen,
über dies und das sinnieren, Pläne schmieden und atmete frische Luft dabei.
Die Bewegung tat ihm gut, nach der Woche voller Aktenstaub und abgestandener Luft.
Seine Frau war lieber daheim während dieser Zeit,
sie umsorgte die Kinder oder strickte und machte das,
was Frauen eben gerne tun - sie las sehr viel.
Der Kuckuck rief zuweilen, viele Wald- und Singvögel, Blindschleichen,
Eidechsen, Frösche und anderes Kleingetier,
aber auch so manches Stück Wild beobachtete er.
Ein kleines Brevier über die Pflanzenwelt und etwas Wasser hatte Karl immer dabei,
genau wie die Lupe und seine Brille.
Manchmal las er auf der Bank am Ziel des Weges auch die Zeitung,
hier war Platz und frische Luft.
Wenn es regnete half das Regencape - dann eben ohne Zeitung..
..war er gut drauf, war in der alten kleinen Tasche
auch eine kleines Fläschchen mit Wacholderschnaps,
das er sich zu Gemüte führte.
Sonst trank er nie etwas, kein Bier, keinen Wein - das war eben die Ausnahme.
An alles dachte er gerne, außer an seine Arbeit,
die er jeden Morgen den der Herr werden ließ,
wie ein Uhrwerk an jedem Wochentag antrat.
Nie war er einen Tag krank, nur im Urlaub,
da fühlte er sich irgendwie nutzlos und überflüssig.
Er schrieb, seit dem die Kinder groß waren und ausgezogen,
an einem Heimatroman, den noch keiner lesen durfte, nicht mal seine Klara.
In den letzten Jahre im Aktenstaub waren immer ein paar Blätter mit dabei,
damit die Notizen für eben diesen Roman geschwind niedergeschrieben werden konnten.
Wie leicht ist der Gedanke wieder verflogen, wie ein Schmetterling,
so sinnierte er - halt, das gehört in den Roman, guter Einfall!
War es Zufall oder Fügung, gerade flog ein Zitronenfalter nahe der Bank vorbei,
an eben dieser "Karls Ruhebank", wie die eingravierte Inschrift lautete.
Er stiftete das gute Stück von zwanzig Jahren der Allgemeinheit,
stellte es eigenhändig auf und erfreute sich daran.
Die Bank, die hier zuvor stand, war morsch und kippte immer mehr nach hinten weg,
sie hatte ihren Ruhestand wahrlich verdient.
Karl zog das mitgebrachte flache Sitzkissen wieder in die richtige Position,
holte die Tageszeitung hervor und begann zu lesen:
"Vor 200 Jahren wurde der Pfarrer von Seligenbach auf der Aussichtshöhe überfallen und erschlagen, den Dieb und Mörder hat man nie gefunden."
Er gruselte sich ein wenig, denn diese Rubrik über Heimatgeschichte folgt in vielen Fortsetzungen der alten Chronik der Gemeinde und des Landkreises.
Diese Begebenheiten sind wahr und belegt.
Das macht sich in einem Heimatroman immer gut, dachte er
und begann sich die Szene vorzustellen,
als ein Wanderer des Weges kam und im Vorübergehen grüßte.
Wenn der so weiter rennt, ist er bald im nächsten Ort, dachte Karl -
warum er es wohl so eilig hat?
Seltsam war der Wanderer angezogen, mit einer Kiepe auf dem Rücken,
das hat man schon lange nicht mehr gesehen.
Mit langem Stock und Schlapphut, langem Mantel und Tasche.
Das wird so ein verrückter Pilger gewesen sein, so einer,
den man ab und an noch auf dem Jacobsweg finden kann..
Gut, auch dieser Weg führt nach Santiago de Compostella,
aber bis zum Einstieg in Südfrankreich ist noch ein weites Stück.
Jeder noch so lange Marsch beginnt mit dem 1. Schritt,
sagt er zu sich selber und hält diesen Gedanken gleich auf dem Zettel fest.
Dieser Pfarrer, so stand es in der Zeitung,
habe die Jahreseinnahme der Kollekten bei sich gehabt,
um die neue bestellte Glocke bezahlen zu können,
die dann nie eingebaut wurde.
Man hatte damals den Küster in Verdacht, konnte diesem aber nie etwas nachweisen..
..anhand der am Tatort gefundenen Fußspuren muß der Täter sehr viel größere Schuhe gehabt haben, als der Küster.
Die Chronik berichtet, daß man dort im lehmigen Boden sehr gut Gipsabdrücke nehmen konnte.
Eine Zeichnung des Gipsabdruckes sei im Heimatmuseum zu sehen,
so schloß der Bericht der Zeitung, Fortsetzung nächste Woche Sonntag..
Na, das ist ja spannend, sinnierte Karl,
was es alles gibt und trank einen kleinen Schluck Wacholder,
bevor er sich auf den Heimweg machte.
"Nur einen kleinen Schluck, dann reicht der Rest für die 2 Sitzung"
Weiter zum Teil 2 der Geschichte "Karls Ruhebank."
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